Olimpiada de Ajedrez 2004

36th Chess Olympiad - 36e Olympiades d'échecs - 36.Schacholympiade 2004

in Calvià

Spielsaal Das Fest der Nationen, das allzweijährliche Stelldichein des Weltschachs, hat es heuer auf die Insel des Massentourismus Mallorca verschlagen. Millionen Anhänger des Schädelthrills trugen sich mit dem Gedanken eines Besuches und eben diese Millionen taten Recht daran daheim zu bleiben! Wie hieß es im offiziellen Programmheft seitens des balearischen Regierungspräsidenten Jaume Matas: "Es para mí un honor dar la bienvenida a los participantes en esta Olimpiada .. ("Es ist mir eine Ehre alle Teilnehmer dieser Olmpiade zu begrüßen ..)", womit nur hoffentlich auch Zuschauer gemeint waren. Und der Präsident der Spanischen Schachföderation Javier Ochoa schrieb: "El slogan de la FIDE, "Gens una sumus", queda más que nunca patente en las Olimpiadas y en el ambiente que en ellas se vive. .. En este sentido, el Comité organizador ha cuidado los detalles para que les permita pasar unos días inolvidables en este paraíso turístico que son las Islas Baleares y, más en concreto, el municipio de Calvià ("Der Wahlspruch der FIDE "Wir sind eines Geistes" gilt umso offenkundiger während der Olympiaden und in der Atmosphäre, in der diese stattfinden. .. Unter diesem Vorzeichen hat sich das Organisationskomitee auch um die kleinsten Details gekümmert, so dass alle jene, die nach Calvià kommen, die bestmögliche Bandbreite an Aktivitäten vorfinden, um letztlich eine unvergessliche Zeit im Touristenparadies der Balearen und speziell in der Stadt Calvià zu verbringen.")". Nun ja, eine Stadt Calvià ist dort eigentlich nirgendwo auszumachen, es handelt sich vielmehr um eine Ansammlung von Küstendörfern, die unter diesem Oberbegriff zu firmieren scheinen. Und so war auch die Veranstaltung aufgeteilt - überall und nirgendwo. Doch mehr dazu im Verlaufe des Verlaufes ..:

Strand von Magalluf Mallorca. Mallorca? Ach, das ist die Insel, die ein jeder bereits besuchte, außer .. mir. Das allerdings werde ich nie wieder sagen dürfen, denn am Freitag abend, dem 22.Okotber war es soweit - Landung auf dem Aeroporto Palma de Mallorca. Die Ausschau nach Busverbindungen gen Calvià blieb vergeblich, niemand schien das Nest zu kennen, womit dann doch nur der kostspielige Zustieg in ein Taxi mich an das Ziel brachte. Im Hotel ("Sol de Magalluf") lag die Reservierung via FIDE nicht vor, nach einigem hin und her war dann aber wenigstens ein Zimmer für mich frei. Inzwischen schon recht spät geworden hatte Dana ihre Teambesprechung hinter sich gebracht und ich konnte sie im nachbarlich gelegenen "Sol Trinidad" einsammeln zu einem Spaziergang an der Playa-Promenade, wo sich alsbald Viktoria Baskite (Estland) zu uns gesellte, die dafür ihren moldawischen Verehrer warten ließ .. Nach endlosen Kurven durch die immer gleich gestalteten Straßenzüge des Magalluf-Areals fanden wir mit dem "Lord Nelson" ein nicht zu lautes, nicht zu wenig besuchtes, nicht zu leises, nicht zu gut besuchtes, nicht zu wenig TV-lastiges und nicht zu viel TV-lastiges Refugium zum gesetzten Verweilen.
Casinales Zentrum Der alsbald mitternächtlichen Plauderei schloss sich noch der ACP-Präsident Joel Lautier an, welcher der ohnehin präsenten Internationalität (Estland, Lettland, Deutschland, Frankreich/Japan) Flüssigkeit verlieh, indem er nicht nur eloquentest vom Russischen ins Englische und gar zuweilen ins Deutsche, sondern ebenso der Bedienung gegenüber ins Spanische wechselte, bis sich herausstellte, dass sie verblüffte und sehr nette Engländerin war, die nur deshalb etwas von der Olympiade wusste, weil einen Tag zuvor Gäste da waren, die davon sprachen. Und wofür also hatten die Organisatoren ein paar Werbetafeln okkupiert? Über 1.200 Aktive aus aller Herren Länder, gut 2.000 Menschen, die vor Ort etwas mit der Schachveranstaltung zu tun hatten und es geht in der Touristenhochburg, wo die müde geschufteten Urlauber vor allem sich nach Sand und Spielhallen, Wasser und Alkohol, Natur und Pubs, Sonne und Nachtleben sehnen und keinesfalls nach irgendeiner kreativen Anstrengung, schlichtweg ebenso unter wie in einer beliebigen Großstadt! Nun, die Zerstreuungssucht ließ sich bestens noch bedienen mit zerstreuten Buchten - das schachliche Großereignis verteilte sich nämlich hübsch auf das gesamte "Kap Calvià"! Während die Unterbringungen sich von Palmanova über Magalluf und Santa Ponca bis Peguera verteilten, befand sich das eigentliche Spiellokal weiter südlich im noch einsamst gelegenen Casino an der Cala Aixada. Durch die Botanik oder zerrieben Vishy zwischen Bussen auf den schmalen Landstraßen ging es praktisch zu Fuß überhaupt nicht dorthin. Das Gebäude scheint zu weiteren Erschließungsplänen des Touristenstandortes und in eine noch ferne Zukunft zu gehören. Nach der nelsonschen Auflösung gegen drei in der Früh, Dana's morgendlichem Teamprogramm nebst nachfolgendem Tennis-Match mit ihrem in Bochum lebenden Landsmann Daniel Fridman sowie einer guten Stunde beim Frisör und auf dem Strand ging es dann endlich per Spielersammelbus ins casinale Zentrum des Geschehens. Und das begann mit .. Schlangen. Eine vor dem Eingang für Spieler und eine vor dem für alle anderen. Die Sicherheitsschleusen ließen baldigen Abflug erwarten. Wie streng es die Sicherheitsbeamten nehmen, musste FIDE-Vizepräsident Zurab Azmaiparashvili noch bei der Abschlusszeremonie erfahren als er entgegen dem Protokoll mit auf die Bühne wollte und von einem Wachmann gehindert wurde - als er diesen traktierte, wurde er kurzerhand verhaftet und abgeführt. Einmal im Gebäude hörten die Beschränkungen jedoch keineswegs auf. Und nun rächte sich, nicht den Versuch irgendeiner Art von Akkreditierung unternommen zu Dana fliegt haben. Als gewöhnlicher Zuschauer durfte man als Gegenleistung für seine Reiseaufwendungen nämlich eigentlich gar nichts. Weder in den Presse- noch in den Spielerbereich, weder Blitzlicht verwenden noch vor Spielbeginn die zwei Spielsäle (Frauen und Männer getrennt) betreten! Letzteres war aber ohnehin nur sehr bedingt attraktiv, da lediglich der äußerste Bretterring mit den Aussenseitern des Turnieres eingesehen werden konnte. Spielte aber ein Team des Interesses auch nur im Mittelfeld, waren schon die Gesichter kaum noch auszumachen, wobei die Sicht noch erheblich durch die zumeist nutzlos herumlaufenden Zugelassenen in Mitleidenschaft geriet. Dem Geschehen war überhaupt nicht zu folgen. Selbst auf den im Spielsaal angebrachten Übertragungstafeln wurden nicht alle Züge nachgetragen und ohnehin nur die Tische 1-6 dargeboten. So blieb als Aufenthaltsort vorzugsweise nur das Foyer nebst Café zwischen den Sälen. Aber wenn nach 2-3 Stunden zunehmend Spieler hinzukamen war der übersichtliche Raum schnell überfüllt. Es blieb fast nur noch die Flucht nach draußen, wo ein üppiges Zelt neben Platz zum Analysieren auch etliche kostenlose(!) Internetterminals bot.
Team Lettland Letztlich aber blieb als deutlich vorwiegende Essenz für den gemeinen Beobachter, je nach Ziel oder Überdenweglaufens eine Menge Leute zu treffen, wobei sich allerdings insbesondere viele der Aktiven äußerst in ihr sportliches Programm eingebunden fühlten. Als Nominierte ihrer zahlenden Landesföderationen, im Team mitsamt Trainern verankert, galt der professionellen Konzentration auf den Sport die höchste Priorität. In Mannschaften mit Ersatzspielern allerdings gab es ab und an die Chance auf einen spielfreien Tag. Einen solchen hatte sich Anita wohl auch aufgrund ihrer hervorragenden Ergebnisse für den Sonntag verschafft. So machte es für mich Sinn mit ihr zum ungarischen Quartier nach Santa Ponca zu fahren, um nach der Teambesprechung gegen 22 Uhr wenigstens noch ein paar Stunden plaudern zu können. Als mich gegen 1 Uhr ein Taxi nach Magalluf zurückverbracht hatte und ich auf dem Weg zum Hotel noch am "Nelson" vorbeikam, teilte mir "unsere Bedienung" der Vornacht amüsiert mit, dass vor gerade mal 10 Minuten der "Franzose" da gewesen wäre. Die Richtung seines Weitergehens abgeschätzt traf ich Joel gleich darauf in einem der wenigen Open-Air-Pubs um diese Zeit, wo er mit Stuart Conquest und dessen spanischer Freundin Veronica (mit Faible für Marostica-Uhren) parlierte. Grinsend lud er mich auf den leeren vierten Stuhl, womit wir das 4-Nationenprinzip wieder hergestellt hatten. Nach 3 Uhr entließen wir auch diesen Barmann letztlich aus seiner Pflicht. Kurz geschlafen und dann wurde es hektisch - das offene Blitzturnier rief und ich musste das Zimmer räumen. Nichts hatte ich vorbereitet. Weder den Spielort herausgefunden, noch mit Dana die Unterbringung meines Gepäcks geklärt noch zumindest vorgepackt. Und natürlich etwas verschlafen. Ok, Frühstück fiel aus, im "Trinidad" Dana Jacke und Tasche in die Hand gedrückt, mich bei der FIDE-Station um Auskunft vorgedrängelt, aus Unsicherheitsgründen zwischendurch für 300 Meter noch ein Taxi engagiert um die erste Runde .. dennoch knapp zu verpassen. Nun ja, es wurde noch ein recht beschaulicher Vormittag, bis mir zum Schluss doch etwas die Müdigkeit zu schaffen machte. Daheim die Turnierserie des Calvià Chess Festivals entdeckt wunderte ich mich über die nur 8 Runden, die vermeintlich zu spielen waren, doch vor Ort lernte ich, dass es sich um Doppelrunden handelte, die aber nur mit einem Punkt gewertet wurden! Ob 1,5:0,5 oder 2:0 war egal - es gab dafür 1:0 Punkte. Verlor man die erste Partie musste also in der zweiten unbedingt ein Sieg her! Das dürfte auf jeden Fall für die großen FIDE-Turniere üben ..
Übertragungsschirme Und auch dort traf es sich mit einigen alten und neueren Bekannten wie dem Leipziger Andrée Rosenkranz und erneut dem Berliner Präsidenten Matthias Kribben, so dass ich mein in Mainz verpasstes Geplauder viel schneller als gedacht nachholen konnte.
Dann rief erneut das Casino, wo es recht karlig zuging, nachdem Joel nach seiner nicht wirklich erstaunlich kurzen Partie interessiert in der neuesten Ausgabe blätterte, für die er schon selbst Beiträge verfasst hatte, und eigene Thesen zum Frauenschach aufstellte, wo er doch in seiner Organisation ACP diesbezüglich schon erstaunliche zwanzig Prozent (etwa 50 der 250 Mitglieder sind weiblich) vorweisen kann. Verblüfft war auch Antoaneta Stefanowa als sie ihr Konterfei entdeckte und sofort argwöhnte das Interview nicht auf deutsch gegeben zu haben. Elisabeth Pähtz fiel zumindest ein, dass sie das Magazin schon mal gesehen hat, was nach ihrem Interview in der Ausgabe zuvor nicht überrascht. Schließlich traf auch noch Dirk Jordan ein um seinen bis dato arg vernachlässigten Dresden-Olympiastand auf Vordermann zu bringen. Als ich mich mit "Wünsche Euch viel Glück beim Entscheid!" verabschieden wollte hatte ich aber die Rechnung ohne seine 100prozentige Einstellung gemacht, denn zu meiner Verblüffung bestand er auf das "uns", denn ich sei ja auch Deutscher! Etwas von ".. auch für Tallinn freuen .." murmelnd blieb ich nachdenklich zurück. War meine Einstellung vielleicht dem DSB-präsidialen Auftritt in Mainz geschuldet, als Herr Schlya vor versammelter Offiziellen- und Pressemannschaft Veranstalter Schmitt dafür rügte, in Mainz der Stadt Tallinn ein Forum für ihre Bewerbung zu bieten? Oder steckt anderes dahinter? Denn dass Dresden den Zuschlag vollauf verdient hat, daran kann kein Zweifel bestehen.
Japan vs. Trinidad Lange Zeit konnte ich damit nicht zubringen, denn Regina Berglitz (ehem. Grünberg) zerrte mich an die frische Luft, wo alte Bekanntschaft eine nette Aufwärmung erfuhr. Zwischendurch im Zelt einen Kaffee geholt begab es sich, dass dem Kunden vor mir die Bestellung eines zusätzlichen Milchtöpfchens abschlägig beschieden wurde. Als der grummelnd abgezogen war, klärte mich der Kellner im öffentlichen Vertrauen auf, in Spanien würde man "Por favor! - Bitte!" sagen, und zwar immer! Unsitten sei er nicht bereit zu unterstützen! Wenigstens fiel es mir nun besonders leicht meinen Bestellwunsch formgerecht zu formulieren, was ihm ein breites Grinsen abverlangte.
Nun wurde es aber Zeit, den Spielerbus nach Magalluf zu kriegen. Mit Dana's Schlüssel in ihr Zimmer eingedrungen und nichts ahnend Psycho2 zu erleben. Denn plötzlich und unerwartet regte sich etwas im Badezimmer. Mit einem Handtuch umwickelt sah mich Inguna nicht minder erstaunt mit großen Augen an. Dana hatte uns offenbar gegenseitig verschwiegen ..
Also trollte ich mich erstmal wieder. Nach meiner Rückkehr verließ Inguna alsbald das Zimmer worauf kurz danach das Telefon klingelte .. bei Anruf Mord? Nein, es war Viesturs Meijers, der mich in das lettische Männerzimmer einlud, wo ich brav "Hallo" sagte und Inguna wiedertraf. Nach dem Versprechen an Viesturs Dana in der Oberliga wiederzusehen war ich auch schon wieder weg - der Bus nach Palma wartet nicht auf mich. Während der gut einstündigen Busfahrt wird mir klar, dass ich von der Insel so gut wie nichts gesehen hatte und sicher einiges Sehenswerte noch seiner Entdeckung harrt. Aber wann ist dort das nächste schachliche Ereignis? ;-)
In Palma umgestiegen, den Flughafen noch leergekauft und am Morgen um 1 Uhr etwas kühler und feuchter wieder ein paar Breitengrade weiter nördlich gelandet.

Olympisches Fazit

... berührt Schachfigur In der Pauschalbuchung via FIDE war neben dem Hotelzimmer inkl. Vollpension (wovon ich natürlich nur das Frühstück und auch das nur 1x nutzen konnte (egal, habe ja reichlich Reserven ..)) auch ein Besucherausweis enthalten, der die Nutzung der Busshuttles und den freien Eintritt in das Casino ermöglichte. Das hat gut geklappt.
Sehr lobenswert weiterhin, dass überall, also auch in den Hotels, der Internetzugang kostenlos angeboten wurde - überhaupt waren die Preise recht ok. Und, die Helfer waren sehr freundlich und hilfsbereit.
Die Bedingungen für die Zuschauer waren dagegen eher unterirdisch. Als ich ein Bulletin kaufen wollte, erklärte mir eine Wachfrau vor dem Pressezentrum, dazu müsste ich am letzten Tag noch mal kommen, 45,- Euro bezahlen und dafür erhielte ich dann alle. Die Einzelhefte zwischendurch seien nur für die Teams! Gegen die Sicherheitsmaßnahmen lässt sich heutzutage vermutlich kaum etwas sagen. Sie scheinen ein notwendiges Übel unserer modernen Zeiten zu sein, wo Waffengewalt wieder an Bedeutung gewinnt.
Am Gravierendsten wurden jedoch allgemein die Beschränkungen für die Akteure selbst wahrgenommen. Denn ein Spieler musste nach Beendigung seiner Partie den Turniersaal verlassen! Das konterkariert nicht nur den Teamcharakter der Olympiade, sondern auch die Akkreditierungen für Funktionäre. Es ist auch ein übles Beispiel für die weiterhin mangelhafte Wertschätzung der Aktiven seitens der FIDE.
Die Öffentlichkeitsarbeit darf kaum als solche bezeichnet werden. Eine Breitenwirkung geht von dieser Olympiade mit Sicherheit nicht aus! Nicht einmal die Einwohner Mallorcas werden die Olympiade als ein besonderes Ereignis wahrgenommen haben.
Zugute halten muss man den Organisatoren die relativ kurze Vorbereitungszeit von nur einem Jahr, nachdem bis dahin eigentlich Menorca Ausrichter sein sollte.
Jedenfalls hat Dresden gute Chancen an Bled anzuknüpfen und alleine schon mit der deutlich größeren Veranstaltungsfläche (etwa 10.000 statt der 2.000 qm von Mallorca) den Komfort für die Besucher und Spieler zu erhöhen!
Aber zunächst ist in 2006 die italienische Autometropole Turin Gastgeber, die sich seinerzeit übrigens gar noch deutlicher gegen Tallinn (damals noch ohne Carmen Kass) durchgesetzt hatten.

Mikly

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