Meine Begegnung mit einem Weltmeister

unverkennbar: Magier Tal Um es gleich vorneweg zu sagen, ein bedeutender Schachspieler, der auf internationaler Ebene in großen Turnieren um Titel und Preise kämpfte, war ich nie.
Zu sehr habe ich mich um die vielfältigen Aufgaben gekümmert, die das Schach, wie jede andere Sportart auch, mit sich bringt. Zu nennen sind die Aufgaben als Funktionär. Über mehrere Jahrzehnte konnte ich in den unterschiedlichsten Vereinen, auf Kreisebene, Bezirksebene oder sogar auf internationaler Ebene Turniere planen, organisieren und veranstalten. Viele - vor allem junge Schachsportler - konnten von diesem Angebot profitieren und sich somit das Rüstzeug für ihr weiteres sportliches Leben holen.
Als weitere wichtige Aufgabe sehe ich meine Arbeit als Trainer und Übungsleiter, auch wenn ich dieser Tätigkeit in der letzten Zeit nicht mehr so intensiv nachgehe wie früher. Kinder und Jugendlichen aus Zörbig und Löberitz haben bei Kreis- und Bezirksspartakiaden, bei Kreis-, Bezirks-, Landes- und Deutschen Meisterschaften ungefähr 500 Spitzenplätze erkämpft. Auch die Erfolge mit den unterschiedlichsten Mannschaften können sich sehen lassen. Gerade diese Tätigkeit wurde im Lauf der Jahre mit vielen Auszeichnungen und Ehrungen anerkannt.
Ein weiteres Betätigungsfeld für mich ist die Tätigkeit als Schachhistoriker. Neben mehreren geschichtlichen Abhandlungen ist es mir gelungen die für unsere Gegend bedeutende Schachgeschichte eines der ältesten Schachvereine Deutschlands, der Schachgemeinschaft 1871 Löberitz, dem Dunkel der Geschichte zu entreißen.
Zu dieser Arbeit hat mir meine jahrzehntelange Sammlertätigkeit geholfen. Die Schachbuchbibliothek mit ca. 1000 Bänden und die vielen kleinen Objekte und Dokumente, die von dem königlichen Spiel zeugen, waren mir da natürlich eine große Hilfe.
Zum Schluss möchte ich noch auf meine journalistische Arbeit verweisen. In mehreren Zeitungen, Zeitschriften und Publikationen konnte ich in den vergangenen Jahren für ein positives Erscheinungsbild des Schachs als Sport, Kunst oder Wissenschaft sorgen.

GM-Turnier Doch das sind alles nebensächliche Aspekte. Im Mittelpunkt steht immer noch das Schach als eine sportliche Herausforderung. Da hat jeder irgend wann einmal seine Sternstunden. Für mich persönlich gab es solch eine Stunde vor fast 30 Jahren am 3. Oktober 1974 im Haus des Lehrers in Halle. Aus Anlass des dort stattfindenden Großmeisterturniers mit den Weltklassespielern Michail Tal, Vlastimil Hort und Wolfgang Uhlmann gab der Exweltmeister Michail Tal eine Simultanvorstellung. Das Interesse war riesig groß, denn Simultanveranstaltungen nahmen zu dieser Zeit einen höheren Stellenwert ein, als es jetzt der Fall ist. Um den Andrang gerecht zu werden wurden die besten 30 Bewerber ausgewählt. Zu meinen Glück gehörte ich mit dazu.
Der im lettischen Riga 1936 als Arztsohn geborene Michail Tal gehörte zu den schillerndsten Figuren der Schachgeschichte. Sein kompromissloser Stil belohnte ihn 1960 mit dem Weltmeistertitel. Er war damit nach Wilhelm Steinitz, Emanuel Lasker, José Raoul Capablanca, Alexander Aljechin, Max Euwe, Michail Botwinnik und Wassili Smyslow der achte Schachweltmeister.
Mit diesem Hintergrundwissen ist es natürlich schwer gegen solch einen Gegner unbefangen zu spielen. Mit den schwarzen Steinen wird die Aufgabe nicht leichter. Ich nahm nach seinem ersten Zug e2-e4 die direkte Herausforderung an und erwiderte e7-e5. Nach wenigen Zügen hatten wir eine Stellung der Spanischen Partie auf dem Brett. Die Cordel-Verteidigung, die ich eigentlich gerne spielte, gab mir wieder etwas mehr Ruhe und Gelassenheit. Doch mit der Ruhe war es schnell vorbei, denn mit dem eher seltenen Bauernopfer b2-b4 versuchte er die Partie an sich zu reißen. Um ihn nicht zu sehr ins Spiel kommen zu lassen, nahm ich das Opfer nicht an und versuchte mit allen Mitteln abzutauschen. Das gelang mir auch, allerdings zum Preis eines schlechteren Läufers. Nur die richtigen Schachspieler können ermessen, was in einem Endspiel mit gleichen Bauern und jeweils einem Turm, gleichfarbigen Läufern und einem Springer der sogenannte "gute Läufer" für Vorteile bzw. für Nachteile bringen kann.
Inzwischen hatten sich immer mehr Zuschauer um unser Brett geschart. Fast alle Partien waren beendet und so hatte der Meister immer mehr Zeit für das Geschehen auf unserem Brett. Schnell wurde ein Stuhl herangeschafft und so saßen wir uns Auge in Auge gegenüber.
Doch ich konnte dem Druck standhalten und die Partie endete Remis. Da ich einer der letzten Gegner war, kam ich in den Genuss einer persönlichen Analyse. Da flogen nur so die Figuren über das Brett. Bei manch einer möglichen Variante wusste ich so gar nicht mehr, wie es dazu kam. Doch das war mir egal, denn ich hatte mehr erreicht, als ich zu Beginn des Wettkampfes erhoffte.
Nach fünf Stunden hatte Tal fast alle Partien gewonnen und neben zwei, drei Punkteteilungen nur ein oder zwei Partien verloren. Eine sicherlich außergewöhnliche Leistung, denn es war schon das Beste, was der damalige Bezirk Halle auf schachlicher Ebene zu bieten hatte. Einige dieser Spieler machten später selbst als internationale Titelträger von sich reden.
Der Wettkampf zeigte aber auch die Kehrseite des Meisters und die Probleme, die der Spitzensport mit sich bringen kann, denn während der Veranstaltung rauchte Tal durch die extreme nervliche Anspannung zwei Schachteln Zigaretten.
Tal verstarb, auch auf Grund seiner exzessiven Lebensweise, 1992. Seine Partien aber zeugen auch in Zukunft von der außergewöhnlichen Begabung und der charismatischen Ausstrahlung des "Schach-Magiers".

Konrad Reiß

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