14. Apoldaer Open

What a show!

jahrelange Trainererfahrung: Willi, Normi Mit diesem Zitat musste ich einfach meinen alljährlichen Apolda-Bericht beginnen. Ja, alljährlich…nicht nur, dass ich nach dem grandiosen letzten Jahr natürlich wiedergekommen bin - nein, ich bin auch erneut für den Bericht verantwortlich. Lieber hätte ich das natürlich an den Pulitzer-Preisträger h.c. Effi abgegeben. Doch dieser war leider genauso wenig vor Ort wie Holly, Brain, Franzi B. und Franzi F., die letztes Jahr mit mir die Riker-WG bildeten. Doch irgendwie gelingt es diesen Jungs immer wieder, neue kultverdächtige Figuren zu meinem Bekanntenkreis hinzuzufügen. So war diesmal auch ein gewisser Dex bei Riker untergebracht, den ich bisher noch nicht kannte - außerdem die mir aus Travemünde bereits bekannten Flash, Jayjay und Strachi. Eine weitere Weimar-WG bildeten Bolle und der Coach.

Mal wieder Stadthalle Nachdem ich mich im ICE nach Naumburg dafür entschieden hatte mitzuspielen, wurde ich von Normi und Flash abgeholt und nach kurzer Innenstadtbesichtigung nach Apolda verbracht. Dort begann mit neuem Teilnehmerrekord (zumindest laut Bernd V.) und erstaunlich geringer Verspätung (40 Minuten) die erste Runde, die alle Hauptprotagonisten gewannen. Halt, Jayjay spielte nur Remis - aber ehrlich gesagt hab ich von seinem Turnier genauso wenig mitbekommen wie von den Partien sämtlicher Mitstreiter! Ich werte das jetzt mal positiv für mich…offensichtlich hab ich mich so auf meine eigenen Werke konzentriert, dass ich Strachi neu in der Crew von den anderen nichts gesehen habe. Für mich ein immenser Fortschritt, der sich allerdings extrem auf den schachlichen Inhalt dieses Berichts niederschlagen wird. Nach der 1.Runde also Heimfahrt zu Riker, der mir seine leicht abschüssige Couch zur Verfügung stellte. Zuvor allerdings konnten wir uns alle wieder mal an dem unglaublich gut gefüllten Vorratsschrank unseres Gastgebers erfreuen. Sehr vorteilhaft auch die Tatsache, dass Riker keinen funktionierenden Internetzugang hatte - so entfiel der lästige Prozess des Aktualisierens und Vorbereitens.

JayJay Am nächsten Morgen fuhren wir dann das erste Mal von Weimar nach Apolda. Diese Autofahrt muss deshalb unbedingt erwähnt werden, da unsere Ohren von einem unglaublich penetranten Wurm infiziert wurden, der dafür sorgte, dass ich die Melodie von "Toxic" sekündlich vor mich herpfiff…nicht gerade förderlich für die Konzentration. Von Runde 2 gibt's von mir nur zu berichten, dass ich auf einen Gegner traf, der das Brett mit seinem Frühstückstisch verwechselte. Von mir gab es dann ein extra Ei für ihn dazu. Spannender verlief da schon DAS Match der Runde: Bolle - Flash! Noch auf der Fahrt orakelte Flash, dass diese Paarung herauskommen könnte - und Normi und ich verrieten ihm sofort die richtige Taktik: probieren mit Weiß, Hände schütteln mit Schwarz. Und siehe da: die jahrelange Trainertätigkeit von Normi und mir scheint sich langsam bezahlt zu machen…Flash lehnt remis ab und: verliert! Er trugs mit erstaunlicher Fassung. Schlimmer schon, dass er dann am Nachmittag gegen einen DWZ-losen noch ein solides Remis hinterherschickte…es sollte sein schlechtester Tag gewesen sein. Strachi spielte gegen GM Ivanov eine tolle Partie, ließ sich aber leider in den letzten 10 Minuten noch austricksen.
Erik ist einer von Bolles zahlreichen Schülern Die Nachmittagsrunde hielt gleich 4 Kracher bereit! Normi spielte gegen GM Pähtz senior. Selten habe ich eine solche Vorführung für Normi gesehen - rund um seinen König schlug es irgendwie überall ein. Dumm nur, dass der GM sich in Zeitnot triefte und Normi seinen Laden irgendwie zusammenhielt: remis! Nachher ein kluger Ratschlag von "Junior" für seinen Vater: "Du darfst eben nicht in Zeitnot kommen!". Der Coach traf auf FM Krämer, den er mit dem gekonnten Läufermanöver Lf1-b5-f1-g2 überraschte und dann verblüffenderweise auch überspielte. Doch bestätigte sich auch hier eine Beobachtung, die ich bei sämtlichen Coach-Partien machen konnte: es gewinnt immer der, der schlechter steht! Und da das hier mal nicht der Coach war, musste er leider eine Null quittieren. Bolle - Dex: kaum was mitbekommen; Nicht vergessen: Jugendopen! aber Dex scheint es geschafft zu haben, eine etwas chaotische Stellung aufs Brett zu zaubern und somit zu gewinnen. Bleibt meine Partie gegen IM Thinius. Diese verlief ordentlich, bis ich mich bei einer Abwicklung um einen ganzen Turm (sic!) verzähle und folglich mit Dame gegen 2 Türme spielen muss. Nach 30 Minuten des Haderns beginne ich, Schach zu spielen und mit einer verzweifelten Attacke meinen Gegner dermaßen in Zeitnot zu bringen, dass ich die Partie gewinnen kann. Mein bislang größter Skalp, nach dem sich sogar Brain per SMS meldete und gratulierte. Vom Abend gibt es eigentlich nur 2 Dinge zu berichten: Normi und ich gehen, da völlig platt, früh zu Bett und lassen damit Riker schmählich im Stich, der unbedingt ein Spiel spielen wollte. Dieser rächt sich durch das Einlegen einer Peter-Gabriel-CD, auf der das Motto dieses Berichts versteckt ist, das uns hernach die gesamte restliche Zeit in Thüringen nicht mehr aus dem Kopf gehen sollte.

Helmut mit Heiligenschein? Auf der Fahrt zur Runde 4 die nächste Ohrwurm-Attacke: "Nur ein Wort". Schlimm, was dieser Song mit uns anstellte! Dex traf auf IM Machelett und seine Strategie war einfach: d4 spielen und den Gegner in Zeitnot bringen. Offensichtlich hatte Dex noch nie etwas von Machelett's Zugtempo mitbekommen. Allerdings war er clever genug, die Strategie während der Partie zu verändern. Der neue Plan: sich überspielen lassen und darauf warten, dass der IM zu schnell zieht. DIESER Plan wurde formvollendet zum Remis ausgeführt. Meine Wenigkeit mit Schwarz gegen GM Ovsejevitch. Hier wurde zum ersten Mal ein kleiner Nachteil mangelnder Vorbereitung deutlich - es ist einfach unangenehm, gegen einen 2500er nach 10 Zügen strategisch platt zu stehen. Immerhin konnte ich ihn durch ein paar Verwicklungen noch etwas in Schwierigkeiten bringen, doch faktisch war ich chancenlos. Jayjay sollte gegen GM Pähtz eigentlich nachwaschen, doch geriet er dummerweise in eine gegen diesen Gegner albtraumhafte Stellung und musste sich im Königsangriff geschlagen geben. Normi durfte überraschend gegen einen 1700er ran, gegen den er zwar völlig platt stand, trotzdem remis ablehnte und tatsächlich äußerst kreativ für dessen Zusammenbruch sorgte.
Normi: Sinnieren über den 2. Zug In Runde 5 hielt Dex mit Schwarz gegen GM Ivanov lange mit, war nahe bis sehr nahe am Remis, wurde dann allerdings mattgesetzt, als Ivanov noch 5 Sekunden auf der Uhr hatte. Normi gelang es, gegen IM Sobolevski als Weißer bereits nach 8 Zügen schlecht zu stehen - er wurde ohne die kleinste Chance einfach abgemacht. Der Coach und ich kamen nebeneinander zu Siegen - während der Coach allerdings souverän gewann, spielte ich gegen einen Bolle-Schüler meine mit Abstand schlechteste Partie und konnte wirklich nur mit Müh und Not und viel gütiger Mithilfe gewinnen. Der Abend zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass ich zum ersten Mal Kuhhandel spielte - und zwar mit Flash (auch für ihn das erste Mal) und den zwei Profis Riker und Normi, die uns denn auch völlig vorführten. Meine Ankündigung, dass ich das Spiel nun verstanden hätte, wurde noch nicht ernstgenommen…

starkes Turnier für Jr. mit Remis gegen Haba, aber die Schlussrunde ... Die Fahrt zu Runde 6 brachte erstmals keinen neuen Ohrwurm, was aber auch nicht mehr nötig war, da sich "Wir sind Helden" und Peter Gabriel sowieso schon Stammplätze gesichert hatten. Ich durfte mit Schwarz gegen FM Krämer ran, stand völlig ok, um dann in unklarer Lage die Dame einzustellen - große Klasse! Coach dagegen mit wahrer Klasse: frühzeitig steht er gegen FM Schirm furchtbar, um sich dann an meine Coach-Beobachtung zu erinnern und ihn in Zeitnot völlig zu überspielen. Glücklicherweise stand er danach so klar auf Gewinn, dass sich die Waagschale nicht wieder auf die andere Seite neigen konnte: 5 aus 6! Normi schlug wieder gegen einen deutlich Schwächeren zu, Flash feierte den dritten Sieg in Folge und Bolle kommt durch einen herrlichen Schwarz-Erfolg auch auf 4,5 Punkte.
Dex' neue Liebe Unser Held der letzten Runde ist natürlich Coach, der an Brett 3(!) gegen GM Ovsejevitch ums ganz große Geld und den geteilten Ersten spielt. Eigentlich macht er alles richtig, bis auf eine Tatsache: er vergisst, dass er der Coach ist und daher schlecht stehen sollte. Dummerweise überspielt er den GM und steht zu Beginn der beidseitigen Zeitnot glatt auf Gewinn! Der aufmerksame Leser sollte das Ende der Partie vorhersagen können…ein bitteres Ende, aber dennoch ein tolles Turnier für den Coach! Happy-End auch für Flash: er wird zu Pähtz jr. hochgelost und spielt mit Weiß eine saubere Partie, die dem bis dahin sehr gut verlaufenden Turnier von jr. ein jähes Ende bereitet - aus dem Hinterhalt kämpft sich Flash damit auf 5,5 Punkte hoch. Ich selbst muss glücklicherweise nicht lange nachdenken, ob ich ein schnelles Remis machen soll, da mein Gegner die Eröffnung völlig misshandelt. Überraschend sicher kann ich den Sieg einfahren und somit 5 Punkte und ein schönes ELO-/DWZ-Plus verbuchen. Normi läuft mit Weiß gegen IM Thinius dummerweise in eine von diesem weit ausanalysierte Variante. Er findet sich darin zwar erfreulich lange gut zurecht, verliert dann allerdings schließlich doch den Faden und auch die Partie. Bolle nochmal mit solidem Abschlussremis und starken 5 Punkten, Jayjay und Strachi laufen je bei 4 Punkten ein. Dex lässt mit 2 Remis austrudeln. Eine Theorie besagt, dass ihn die dumme Niederlage gegen Ivanov frustriert hat. Wir allerdings wissen, was wirklich geschah: Dex hat sich verliebt, und zwar in Band 5 von Kasparovs Werk "My great predessecors" über Bobby Fischer! Die beiden konnten seit dem ersten Kennenlernen nicht mehr voneinander lassen. So blieb dann Dex auch am letzten Abend bei seiner neuen Eroberung, während sich der Rest (incl. Wanze, den ich so also auch kennenlernte) in Bolles Schachkneipe in Weimar aufmachte und dort die schönen 4 Tage ausklingen ließ. Besonders erfreulich, dass keiner ein wirklich schlechtes Turnier gespielt hat - alle konnten mehr oder weniger zufrieden sein.
Abendmahl mit Gästen Kleine Enttäuschung dann bei der Heimkehr: wir alle hofften auf die letzte Ausgabe des WDR-Fernsehschachpreises, doch wurde diese erst in der nächsten Nacht ausgestrahlt. So mussten wir also nochmal Kuhhandel spielen…der Autor schweigt über den Ausgang, doch kann sich der aufmerksame Leser vielleicht noch an meine Prophezeiung erinnern.

Am nächsten Mittag ging es dann mit Normi, Flash und Dex zurück nach Naumburg. Es war wie immer klasse - bis zum nächsten Jahr und danke an Riker für die erneut perfekte Gastfreundschaft. Nur das Müsli mit 35% tropischen Früchten und ohne Rosinen ist verbesserungswürdig!

Willi

Sprüche

"What a show!"
Peter Gabriel prägt einen Slogan, der nahezu die gesamte Zeit perfekt zusammenfasst

"Bolle hat remis abgelehnt – jetzt kann er natürlich nicht mehr gewinnen."
Flash mit einem Statement, dessen Logik jeder erstmal auf sich wirken lassen sollte

"Den muss ich mit Schwarz aber auch erstmal schlagen."
Pähtz jr. vor der letzten Runde zu all jenen, die ihm Riesenlosglück vorwarfen; das Ende ist bekannt

"Power-Pähtz-Präsentation"
Willi über die Leistungen des Clans

"Ist doch klar, Aljechin"
Normi auf die Frage, welcher als unbesiegbar geltende Spieler 1927 den Titel verlor

"Wegen des Textes"
Dex auf meine Frage, warum er Garris Buch so toll fände

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