Olimpiadi degli Scacchi

Torino 2006

Olympisches Turin Relativ kurzfristig motiviert und entschlossen ging es dann doch noch über die Alpen, durch den Himmelfahrtsverkehr gekämpft, voll gestoppt am ausgebrannten Lkw vorbei in die Metropole des Piemont, deren bekannteste Aushängeschilder wirtschaftlich der FIAT-Konzern und sportlich der Klub Juventus (äußerst erfolgreich in einer anderen Randsportart) sein dürften. Zuletzt richteten sich die verschneiten Augen der Fiatschach Welt auf Turin als Ausrichter der Winterolympiade. Olympiade? Genau, es gibt neben den beiden großen interdisziplinären Wettkampfereignissen noch einen weiteren weltumspannenden Aufmarsch dieses Namens für die Jünger Caissas - die Schach-Olympiade unter der Ägide der FIDE, stets ein Stelldichein von allem und jedem, Nationengeflüster und Stimmenmelange, Cracks und Patzern, Offiziellen und solchen, die durch Absperrungen schlüpfen. Doch dazu später mehr.
Öffentlichkeitsarbeit Nach 12-13 stündiger Anfahrt über Stuttgart-Zürich-Mailänder Nebenwege (die letzte Stunde darf mangels Stadtplan als kleine erste Besichtigungstour vermutlich nur hälftig gezählt werden) wurde unter dem letzten Abendglimmen aufgrund der Straßenanordnung schnell klar, warum Turin für Schach als prädestiniert angesehen werden musste und zudem, dass der geneigte Tagesrest nicht viel mehr übrig lassen würde als Einchecken und den typisch mediterranen Inder Kashmir nebst der gegenüberliegenden und namenlosen Jazzkneipe, die auch künftig Hort der letzten und ersten Tagesstunden werden sollte. Anderntags kamen wir kiebitzbegierigen Campo wie eh und je Schachenthusiasten voll auf unsere Kosten, denn er war gemäß Turnierplan .. spielfrei!
Da auch das geplante Treffen mit Dana und Janis vorerst ungespielt verharrte, blieb uns genügend Zeit für einen gemächlichen, sonne- und wärmegefluteten Bummel über die Straßenmärkte, durch die arkadengespickte Innenstadt nebst Vollstreckung fast aller Heimataufträge sowie einmal retour und tief nach Süden zum olympischen Dorf im Viertel Lingotto, wo die mediterrane Stärkung erneut höchst asiatisch daherkam, was auch Turins Wahrzeichen: Mole Antonelliana Loek und Frau am Nebentisch nicht allzu lange verweilen ließ und dennoch die deutsche Delegation um Uwe Bönsch (empfahl uns beim samstäglichen Ticketkauf nicht Silber, sondern Gold zu nehmen!), Gusti & Co nicht abschreckte.
Doch direkt gegenüber dem Spielerquartier (Zutritt für alle Nichtoffiziellen strengstens untersagt!) fand sich eine relativ ansprechende Lokalität, die naturgemäß nicht nur von zahlreichen Olympiaprotagonisten Gleise zum Kopfbahnhof frequentiert wurde, sondern auch sozusagen eine Art Ein- und Ausgangskontrolle gestattete - wer lange genug sitzen bleibt, dürfte von dort früher oder später mal jeden "Athleten" sichten können. Und so stieß alsbald von ihrer Teambesprechung (Ungarn) Anita zu uns und kurz darauf auch Dana und Janis, während an den umliegenden Tischen Helene Mira ihre Handymissgeschicke zum Besten gab und Levon Aronian ebenfalls seinen Spaß hatte.
Panorama mit Anita Der ermüdende Heimmarsch ins kunstbeflissene Boston verlangte hernach namenlose Erquickung, die durch einheimische Ansprache seitens Luca und Giordano noch recht vergnüglich wurde. Sie offerierten uns, dann mit Anita im Gepäck, für den Vormittag eine Stadtbesichtigung, die indes offenbar dem italienischen Minutentakt zum Opfer fiel und wir demzufolge eigenfäustlich den Po querten um das prächtige Panorama der Stadt vor dem Hintergrund der gewaltigen Alpenwand zu genießen und Hochzeitsgesellschaften umgehend endlich Mediterranem Claudia lauscht Helenes Handymissgeschicken italienischer Bauart zu frönen. Der kleine Ausflug stand zudem im Zeichen der Vorfreude auf die einzige olympische Runde, deren Ablauf wir live zu erleben imstande waren. Anita bevorzugte die Begutachtung via Internet im "Players Village" was trotz der 20-minütigen Fußentfernung (nur für Spieler und Offizielle gangbar) zwischen den Unterkünften fahrtechnisch einigen Umweg mit sich brachte.
Das Oval Dennoch trafen wir kurz nach Anpfiff ein und gewahrten an der Tageskasse die Meldung: Alle Gold-Tickets (20 Euro!, Stehplatz) ausverkauft! Wow! Knapp 2000 Kilometer Fahrt und alle übrigen Aufwändungen um uns mit einem Silber-Ticket (5 Euro, Sitzplatz) auf die Tribüne verbannen zu lassen! Für einen Schachspieler ist das Verfolgen des Geschehens von der Tribüne aus ungefähr vergleichbar mit dem Stadionbesuch eines Fußballfans in Form eines Helikopteraufenthaltes in 500 Metern Höhe über dem Rasen!
Turin moves Konsterniert wanderten wir das Areal des Ovals (so wird die ziemlich eckige Riesenhalle genannt) ab, mut- und lustlos die zahllosen Stände, Übertragungsleinwände (nur "Männer" die Paarungen von Tisch 1 und Italien) Räume, Cafés, Animationen und Werbeträger einschließlich der Kandidatenlokale von "Kirsan" (so familiär anheimelnd präsentierte sich sein Stand) und Bessel Kok ("The right move", gleich neben dem Olympiastand von Dresden) umschleichend, immer ausschauend einen Offiziellen zu treffen der Deutschland - Lettland: Eli vs. Dana vielleicht weiterhelfen könnte. Doch Uwe Bönsch hastete ebenso achselzuckend vorüber wie Janis und Dagobert keine "Black Cards" in der Tasche hatten. Da spielen unter anderem bei den Frauen ausgerechnet Deutschland gegen Lettland (Eli vs Dana, Laura vs Jessica, Vera vs Ilze) und Russland gegen Ungarn (wenn auch leider ohne Anita, doch mit Ildiko gegen Kosintseva T.) und es ist überhaupt die einzige Chance und dann das!
Deutschland vs. Indien Doch Not gebiert Findung - die etwa quadratisch angelegte Spielzone war hälftig durch einen bewachten und gut einsehbaren Bandlauf abgetrennt während die andere Hälfte von besagten Tribünen umschlossen war. Das Tribünengestell selbst wiederum war von Tüchern, zur Spielzone hin mit den Flaggen der Nationen und zum Außenbereich hin mit schwarzem Stoff verdeckt und manche der Aufgänge boten an manchen Stellen relativ guten Sichtschutz. Also dreimal umgesehen und durch das Gestell gekrabbelt, bei den Fahnen aufgetaucht, nur ein Team Schweiz paar wenige amüsierte Blicke geerntet und drin waren wir! Der rote Goldkartenteppich, welcher auch ohne Opernglas einen fast hautnahen Blick auf alle Bretter gestattete, gehörte fortan uns! Freilich war nach einem ersten Komplettrundgang stundenlanges Stehen angesagt, denn raus und auf verdecktem Wege wieder rein inklusive der Risikoverdopplung galt es natürlich zu vermeiden. Claudia sah sich dennoch genötigt und fand später sogar noch einen Passierschein durch die volle Stube, derweil mir vorwiegend das Verharren an den beiden genannten Teampaarungen blieb.
Cappuccino italiano Während es mir bei Dana recht unklar schien und Lauras Angriff nur potenziellen Charakter aufwies, fiel die Konzentration leicht auf das dritte Brett, wo ich jeden Moment Ilzes Handschlag zur Aufgabe erwartete, doch Veras Fallbeil blieb Zug für Zug stecken. So vertrat ich mir die Füße zur Spitzenbegegnung, welche auch aufgrund der inzwischen fortgeschrittenen Zeit am 2. Brett ein packendes Finale bot. Während die neben mir mitfiebernde Nadezhda sich vermutlich eher um ihre Schwester Tatiana sorgte, galten meine Hoffnungen der Umsetzung von Ildikos initiativer Stellung. Mit dem letztlichen Friedensschluss konnten dann sicher beide gut leben.
Markttreiben Nach der gelesenen Messe trieb es uns mit Dana und Janis (wie schon Anita dankbar für die Abwechslung zur ziemlich mäßigen Spielerfütterung) noch einmal in die Osteria vom Mittag, wo uns das, laut Janis, familienfreundliche Ambiente zu einem zukunftsgerichteten Votum verhalf und wir hernach an der olympischen Fußgängerbrücke Abschied nahmen.
Stadio delle Alpi Wohin sonst noch als namenlos den Aufenthalt ausklingen lassen? Luca gab sich alle Mühe im Minutentakt und Isi gewährte tieftürkische Einblicke in die piemontesische Seele, ehe es der herannahenden Weckeraktivität fast nicht mehr bedurft hätte. Vorbei am AC-besetzten Stadio delle Alpi und bis zum abzockenden San Bernadino verfolgte uns noch Turin Arkaden der Sommer, Bern löste ihn massiv mit Stauregen ab, Zarathustra & Aschleben versöhnten zum frühmorgendlichen Ausklang, als uns nur zwei Stunden später die Backstuben entgegengesetzt nochmal 1000 Kilometer durch Europa warfen.
Die nächste Olympiade findet daheim statt ..

Mikly

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