Neuseeland 2016

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Kiwi-Schach

Enjoy your chess: in New Zealand Das zuletzt in Island 2014 und Gibraltar 2015 praktizierte Outsourcing des Turnierberichts an Gastautoren funktioniert diesmal nicht. Daher orientieren wir uns an Island 2011: Ich übernehme den schachlichen Teil (samt eines späteren Tolkien-Zuschlags), während sich Mikly der Reise durchs Land widmet. Chronologisch sind wir damit zugleich eher am Ende der Reise angelangt. Aber die Prioritäten wollen ja auf der Schachvereinsseite entsprechend gesetzt sein.

Murray Chandler als historisches Bilddokument gegen Vitaly Zeschkovsky irgendwann in den 80ern Die Neuseeländische Meisterschaft hat eine lange Tradition. Bereits zum 123. Mal wurde sie in diesem Jahr ausgetragen. Immer mal wieder offen und zeitgleich als Ozeanien-Meisterschaft und Qualifikation für das neuseeländische Olympia-Team (so wie in diesem Jahr). Ich werde jedenfalls das Abschneiden der Kiwis in Baku genau verfolgen. Natürlich gehen sie dann als Außenseiter an den Start.
Flaggenschmuck Zwar hat Neuseeland genau einen Großmeister, der immerhin schon mehrfach Olympia-Silbermedaillengewinner war (wenn auch seinerzeit unter englischer Flagge), aber der gilt seit 2008 als inaktiv und widmet sich lieber der Organisation von Turnieren: Murray Chandler. Einst in der erweiterten Weltspitze aktiv wollte der gebürtige Wellingtoner seine positiven Erfahrungen aus Wijk, Biel und Hastings in ein Schachturnier einbringen, in dem an erster Stelle die Spieler sich wohl fühlen. Das ist ohne Einschränkungen gelungen.

Gildeth hilft immer gern Chandler kann auf ein eingespieltes Team (u. a. mit seiner Mutter Gildeth) zurückgreifen und einen einzigartigen Turnierort. Da ist zum einen das idyllische Seebad Devonport – von der lärmenden Metropole Auckland City durch eine zehnminütige Fährüberfahrt getrennt. Hier scheint die Zeit komplett stehen geblieben. Viel altertümlicher Charme, der sich nicht nur im über 100 Jahre alten Victoria cinema zeigt. Das Lichtspielhaus – in den 30ern im Art-Deco-Stil umgebaut – gilt als das älteste durchgängig betriebene Kino der Südhalbkugel.
Aucklands Skyline vom summit aus Nach jeder Runde ist zudem ein Spaziergang auf wahlweise den "summit" oder "north head" Pflicht. Der "summit" heißt eigentlich Mt. Victoria (fast alles heißt hier Victoria, wenngleich man sich derzeit durch diverse Referenden wahrscheinlich flaggen-optisch weiter von der Krone lossagen wird). Von hier hat man einen herrlichen Blick auf die Inseln des Hauraki-Golfs, u. a. die benachbarte Vulkaninsel Rangitoto, und auf die Skyline von Aucklands City.
Turniersieger Gawain Jones wird in seiner Dankesrede u. a. sagen: "Ich spiele am besten, wenn ich entspannt bin. Es gibt keinen besseren Ort zum Entspannen als Devonport."
Schach in der Kirche (1) Zum anderen ist da der Slogan "Schach in der Kirche", denn das National Chess Centre ist eben in einem Gotteshaus angesiedelt. Wenngleich dieses "nur" als Analyseraum dient. Der eigentliche Spielsaal nebenan ist aufwendig mit Flaggen geschmückt (für Neuseeland noch mit der alten) und atmet historisches Flair durch einige alte Aufnahmen, u. a. von Murray.

Schach in der Kirche (2) Chandlers gute Kontakte und schachliche Historie spiegeln sich u. a. in der Teilnehmerliste wider. Regelmäßig wird diese von englischen Spitzenspielern angeführt. Im Vorjahr z. B. von David Howell, der allerdings am Ende hinter der überragenden Chinesin Xue Zhao und unserem amtierenden Meister Klaus Bischof (der Howell besiegen konnte) nur auf Platz 3 landete. Diesmal vom alten Weggefährten Nigel Short, dessen berühmt-(berüchtigter?) Artikel über das Frauenschach in New in Chess immer mal wieder anklingt – teils auch in selbstironischen Bemerkungen des Nigel verliert gegen Ju Wenjun Großmeisters. In Neuseeland will er es wissen und tritt gegen die 20 Frauen simultan an. Auch im Turnier spielt er gegen drei Frauen in Serie und unterliegt dabei der Chinesin Ju Wenjun (die Partie ist sowohl in Deimantes unten verlinktem Bericht als auch in "Schach" 2/2016 abgedruckt).
Damit ist wie schon angedeutet der Weg frei für die Nummer 2 der Setzliste: Gawain Jones. Nach unfreiwilligem Schweizer Gambit (Remis gegen den einheimischen FM Scott Wastney in Runde 3) sammelt Gawain unspektakulär Punkt um Schlussrundenpaarung: Gawain Jones vs. Alexandr Fier Punkt und kann u. a. Ju Wenjun besiegen. Nach meinen Recherchen ist er übrigens der einzige, der uns auf all unseren Stationen Reykjavik, Gibraltar, Auckland begleitet hat – sicher unwissenderweise.
Weiteres internationales Flair bekommt die Teilnehmerliste durch die Pärchen GM Alexandr Fier (Brasilien)/WGM Nino Maisuradze (Frankreich) sowie GM Matthieu Cornette (Frankreich)/ IM Deimante Daulyte (Litauen), letztere tragische Heldin bei Shipovs Jahresrückblick, Einsteller des Jahres.

Turniersieger Gawain Auch wir haben mitgespielt, bis auf Holly natürlich, der sich sein Kiebitz-Recht diesmal nicht durch anstrengende Wetten verdienen musste. Ich übergebe an Mikly, der seinen Turnierverlauf schildert:
"Rein schachlich habe ich nicht viel zu berichten und überlasse daher gerne Reyk den Erzählstrang zu den Umständen und Abläufen der 123. Neuseeländischen Meisterschaft. Mir selbst gelang ein echter Katastrophenstart. Nach dem noch akzeptablen Minusauftakt aus der zweiten Hälfte heraus kam ich anderntags gegen die junge Jasmin Zhang nicht über ein Remis hinaus. Für sie wohl das Highlight des Turniers, denn hernach kam sie lange auf nichts Zählbares mehr. Der absolute Tiefpunkt folgte sogleich in Runde 3, als ich es fertig brachte eine +5-Stellung noch einzustellen. Ich war bedient. Der Wettbewerb schien den wohlbekannten Verlauf von Turnieren im Urlaubsschwerpunkt zu nehmen, die mich regelmäßig in ein mehr oder weniger fettes Minus führen.
Devonport und die namensgebende Fähre Aber es folgten 4/4. Zunächst ein leichter Sieg gegen Reyks Auftaktgegner, dann 'The day of Joy' sowie zwei eher glückliche Erfolge aus schlechteren Stellungen heraus. Damit war das Turnier gerettet. Die Schlussrundenniederlage war recht leicht vermeidbar, das allerdings hätte den Urlaubsmodus dann doch umgedreht ..."

Soweit Mikly. Am 'The day of Joy' eröffnete der Schiri übrigens die Runde mit "Enjoy your chess!" Was sich Mikly gegen Joy Shu Yan Qin (trotz des exotischen Namens "nur" ein Neuseeland-Länderpunkt) nicht zweimal sagen ließ. Und abends sahen wir im altehrwürdigen Victoria cinema Joy, ein Hollywood-Streifchen, von dem ich trotz Jennifer Lawrence und Robert de Niro unbedingt abrate. Immerhin hat es seinen Beitrag zur Namensgebung des Tages geleistet und uns einen Inneneinblick des schönen alten Kinos gewährt.

Zwei meiner Gegner aufgereiht: Thorben und Nino Mir gelingt in Runde 2 das Kunststück, gegen den einzigen teilnehmenden Deutschen außer uns – Quasi-IM Thorben Koop (Normen und ELO sind unter Dach und Fach) – gelost zu werden. Thorben hat 2012 ein Austauschjahr in Neuseeland absolviert und trifft beim Turnier viele Freunde aus Otago wieder. Ich mache zwar unangenehme Erstbekanntschaft mit einem Igel, aber dieser Länderpunkt zuzüglich weiterer big points aus Malaysia, Australien und Frankreich beschert mir vor Mikly einen uneinholbaren Vorsprung in der inoffiziellen Länderpunkt-Wertung.
2012 machte sich auch Dresdens Paul Zwahr auf den Weg nach Mittelerde, das er mit dem Fahrrad bereiste. Paul meldet sich anno 2016 während des Turniers per Mail und gibt mir aus eigener Anschauung – verbunden mit Grüßen – Tipps gegen den ehemaligen Rugby-Spieler FM Michael Steadman auf den Weg. Besten Dank, Paul - auch wenn es nicht geholfen hat.
Ich beende das Turnier wie Nigel zwischenzeitlich gegen drei Frauen (Mitorganisatorin Helen Milligan, die junge Layla Timergazi - die ein riesiges Turnier spielt - und gegen Nino Maisuradze). Schließlich interessiert sich sogar Alexandr Fier für mein Klötzchen-Geschiebe ;-)

Stets am Start ... ... das kombinierte Kiwi- ... ... Schach-Mobil

Viele Kleinigkeiten machen den Charme des Turniers aus. Murray lässt es sich nicht nehmen, täglich den vom Café Corelli ausgelobten Spezialpreis zu vergeben. Zum Beispiel für Außenseitersiege oder besondere Verteidigungsleistungen, Kombinationen. Dabei wird deutlich, dass wirklich alle Partien durchforstet werden bis in die Niederungen. Wahrscheinlich sogar von Murray selbst.
Im Gespräch mit Daniela und Oliver Bedanken möchte ich mich bei Diana Schäfer, einer (nicht verwandten ;-)) und vor 15 Jahren ausgewanderten Deutschen, die uns spontan nach dem Turnier in den Norden der Halbinsel einlud (was wir mit Verweis auf unseren Flugplan leider ablehnen mussten) und unkompliziert die Übersendung der Januar-Ausgabe des New Zealand Chess Magazine samt Turnierbericht organisiert hat. Ihr Sohn Oliver Picken war auch einer der Corelli-Preisträger: als aktivster Spieler. Neben dem Open gab es noch zahlreiche Nebenturniere, wie das Junior Open oder Mad Morning Blitz (unter Auslosung der Eröffnungen). Oliver hat keines ausgelassen!
Auch die Abschlussveranstaltung ist gelungen – alle Reden wissen zu fesseln, was ja durchaus selten ist. Und was Wijk die Erbsensuppe ist, ist Devonport die Paella.

Devonports Dächer Blick auf Rangitoto Auf dem summit: Mt. Victoria

Wem das Land als Argument noch nicht genügt: Ich kann auch das Turnier uneingeschränkt empfehlen. Um es mit Nigel Shorts Abschiedworten zu sagen: "Das Neuseeland Open ist nicht das stärkste Turnier der Welt, aber eines der sympathischsten."

Reyk

Nachfolgend die Grußworte, verfasst von Gildeth Chandler und unterschrieben von den Titelträgern:
von oben nach unten sowie links nach rechts:
GM Wenjun Ju, GM Qun Ma, FM Alexei Kulashko, GM Murray Chandler, GM Nigel Short, GM Alexandr Fier, GM Gawain Jones, WGM Nino Maisuradze, FM Robert W Smith, IM Deimante Daulyte, GM Matthieu Cornette, WIM Heather Richards, FM Scott Wastney und IM Thorben Koop

Turniergrüße aus ... ...  Devonport

Weitere Bilder zum Turnier (hauptsächlich von Mikly und einige von Holly) im Fotoalbum Neuseeland-Open 2016.

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