Chess in the U.S.

Bobby Wieder einmal ergab es sich, einen Schachverein in dem Land besuchen zu können, welches mit Robert James Fischer den wohl erstaunlichsten Weltmeister hervorgebracht hatte. Immer noch zieren seine Porträts die Wände der Klubs und auch der übrigen Schachwelt hat er durch das eröffnungstheoriebefreite Fischer-Random-Chess (kürzer Chess960 genannt) sowie die digitale Schachuhr mit Zeitgutschrift pro Zug mehr als nur seine Partien hinterlassen. Das Erbe seiner Spielstärke wurde indessen auf dem amerikanischen Kontinent auch nach vierzig Jahren noch von keinem der Jünger Caissas angetreten.

Dallas Chess Club: Kids Ebenso verhält es sich im Dallas Chess Club, der dritten Station nach den Besuchen des Los Angeles Chess Club in 2007 und des Marshall Chess Club in New York in 2008. Zwar halten sie alle sein Andenken hoch, doch werden neue Heroen viel eher in anderen sportlichen Disziplinen oder in den Studios von Hollywood geboren, als dass sich in den Schmieden des Königsspiels ein würdiger Eleve fände.

Blitz mit Timothy Taylor Wie bei den deutschen Pendants bleibt ein Fremdling beim Betreten von Klubgefilden zunächst unbeachtet, was sich dort allerdings gegensätzlich zur an sonst freundlichen Aufmerksamkeit verhält, welche Amerikaner Gästen gegenüber für gewöhnlich pflegen. Im Unterschied zu den eher unbestimmten Auftritten in Manhattan, als es vor allem eine Besichtigung der adretten Räumlichkeiten wurde, und in L.A., wo die Behausung des ansässigen "Barrington Bridge Club" nicht LA Chess Club: Gruender Mick Bighamian sonderlich viel hergab und lediglich ein paar Blitzpartien gegen Vereinsgründer Mick Bighamian sowie IM Timothy Taylor heraussprangen, war nun in Dallas ein Schnellturnier ausgeschrieben, an welchem ich teilzunehmen gedachte. Entsprechend forsch übernahm ich selbst die Initiative und suchte nach dem Studium diverser Aushänge und der Begehung der Örtlichkeit die Ecken des etwas verwinkelten Baus auf, in denen sich mutmaßliche Organisatoren mit ihren Computern beschäftigten.

Die erste Turnierpartie Ja, die erste Runde liefe zwar bereits, doch ein Einstieg in das Turnier wäre jederzeit möglich. Er fragt nach meinem Namen und findet ihn nicht im System. Schon das Buchstabieren bereitet Schwierigkeiten. Erst allmählich begreife ich, dass ein Z hier nicht wie im Englischen zed lautet, sondern wie das gesungene zi, markant bekannt aus dem Klang des Namens der Band ZZ Top! Somit stehe ich vor einer völlig neuen Herausforderung zur korrekten Schreibweise meines Nachnamens, denn die Abfolge zi si zi nacheinander verständlich zu sprechen bedarf erst mal einer gewissen Übung.
Wir stellen fest, dass ich der amerikanischen Datenbank unbekannt bin, finden mich dann aber ohne weiteres in der FIDE-Datenbank.

Kein Turnier ohne Mitgliedschaft Nun sei zur Teilnahme allerdings die formelle Aufnahme in den Schachverband der Vereinigten Staaten, der USCF (United States Chess Federation), zwingend erforderlich, ungeachtet des Umstandes, dass es sich hier lediglich um eine völlig unbedeutende, lokale Veranstaltung handelte. Also willige ich in das Mindesterfordernis ein, nämlich eine 3-monatige Mitgliedschaft zu 15 US-Dollar zuzüglich des obligatorischen Startgeldes in Höhe von zehn US Dollar, denn es waren kleinere Geldpreise ausgelobt.

Chess vs. Hollywood Bis zur Auslosung der zweiten Runde bleibt mir noch etwas Zeit und ich schaue mich weiter um. Im Foyer und den offen angrenzenden Räumen sitzen vereinzelt einige Personen, allesamt mit einem tragbaren Computer beschäftigt. In den seltensten Fällen erkenne ich darauf Schachmotive. Drei Personen in diesem Areal scheinen eine Art offizielle Funktion zu bekleiden. Dazu gehören die beiden Leute im selben Raum, doch wiederum vereinzelt sitzend, mit deren Hilfe ich meine Anmeldung durchgeführt hatte. Einer kümmerte sich um die Turniereinschreibung und der andere um die Aufnahme als Ein neuer Waitzkin? Mitglied. Am Eingang, an einem möglichen Empfangstresen, hatte der ebenfalls computerbestückte Mann vorhin beim Betreten des Hauses einem indischen Pärchen offensichtlich diverse Auskünfte gegeben. Er sitzt immer noch da, ohne Kundschaft, vertieft in seinen digitalen Horizont. Weiter geht es durch eine Doppelflügeltür in den größten Raum, vollgepackt mit Tischen und üblichen Schach-Sets darauf. Einige Kinder und Jugendliche spielen oder studieren mehr oder weniger geräuschvoll, einige Erwachsene stehen dabei, plaudern untereinander, wirken eher unbeteiligt.

Monroi Eine schmale Treppe führt in die 2. Etage (US-Amerikaner beginnen in Gebäuden nicht bei Null - das Erdgeschoss ist bereits der 1st Floor) und in diesem deutlich kleineren und noch vollgestellteren Raum geht das Turnier über die Bühne. Einige Partien laufen noch. Ich geselle mich zu einer Reihe von Kiebitzen und beobachte das Geschehen. Zunächst fallen mir kleine Computer an einigen Brettern auf, etwa vom Format moderner Mobiltelefone. Sie werden zumeist von sehr jungen Spielern anstelle einer Mitschrift mittels reichlich verfügbarer Formulare und Stifte zur Erfassung der Partie genutzt! Neugierig erkundige ich mich und erfahre, dass diese kleinen Geräte tatsächlich nichts weiter können als die Züge auf der Brettanzeige eingeben zu lassen sowie diese Partien später auf andere Geräte zu übertragen. Sie sind somit vor allem denjenigen eine Hilfe, welche des Schreibens noch nicht ganz mächtig, wohl aber in der Lage sind, ein identisches Nashville Chess visuelles Abbild vom Geschehen auf den 64 Feldern zu erzeugen, sparen aber auch den Erfassungsaufwand für Organisatoren. In diesem Sinne wurde es beispielsweise auch in der Schweiz erstmals beim Open in Triesen im Jahre 2007 eingesetzt. Suspekt bleiben diese dubiosen Helferlein dennoch. Sind elektronische Geräte erst einmal akzeptierte Gäste bei Schachveranstaltungen, wer mag sich dann noch sicher sein?

Bronstein-Modus Später bemerke ich noch eine Besonderheit hinsichtlich der digitalen Schachuhren, denn deren Anzeigen unterscheiden sich von den gewohnten europäischen Exemplaren durch eine zusätzliche Ziffer links der Restzeit. Auf meine Nachfrage, ob es sich hierbei um ein Inkrement handele, werde ich zurechtgewiesen: "No increment, delay!". Aha, es handelt sich also um die Zweitvariante der Fischer-Bedenkzeit, der hierzulande unüblichen Aufschubzeit, dem sogenannten Bronstein-Modus, wonach mit jeder Zugpflicht eines Spielers zunächst einmal die Bonuszeit läuft, bevor dann der Grundvorrat reduziert wird. Wer also schnell zieht verbraucht nichts. Aber, anders als beim Inkrementverfahren kann eben auch kein zusätzlicher Zeitvorrat aufgebaut Fork Master vs. Mikly werden! Während wir uns durch 10 blitzschnelle Züge bei einem Inkrement von 30 Sekunden also knapp 5 Minuten zusätzliche Bedenkzeit erblitzen können, funktioniert genau das im Aufschubmodus nicht; allenfalls wird der Status quo gewahrt. Es ist dabei völlig gleichgültig, ob der Zug direkt zu Beginn der Aufschubphase oder erst unmittelbar vor deren Ablauf ausgeführt wird, es bleibt lediglich die Restbedenkzeit unverändert; etwa übrige Aufschubzeit fällt hingegen auf direktem Wege in das ohnehin schon reich gefüllte Bedenkzeiten-Nirvana.

Als sich der Saal zur neuen Runde wieder füllt, sind es fast ausschließlich Kinder, die hereinströmen. Ich gehöre also zur seltenen Gattung der Erwachsenen, zumal Älteren. Was für ein Kontrast zu den heimischen Verhältnissen!

Matches Kurz darauf spiele ich dann meine erste Partie mit diesem Modus, 5 Sekunden beträgt die Aufschubphase vor jedem Zug. Die Eröffnung verunglückt mir nach dem Auslassen eines wichtigen Zuges und so gerate ich in schwierige Gewässer, was meiner Bedenkzeit gar nicht gut tut, zumal der Modus arg gewöhnungsbedürftig ist, suggeriert er doch eine allzu trügerische Sicherheit. Denn so schön die fünf Bonussekunden pro Zug sind, so schnell sind sie auch vorüber und die eigentliche Marshall Chess Club Bedenkzeit wird angenagt und wenn es in sehr komplexen Stellungen nun mal keine einfachen Zugfolgen gibt, dann hilft dieser Aufschub so gut wie gar nicht. Er ist tatsächlich nur nütze, um etwa ein technisch klares Endspiel noch abzuwickeln, nicht aber zum Kampf gegen die Zeitnot. Sitzt man nämlich auf nur noch wenigen Sekunden, dann lässt sich zwar ziehen, aber nur noch blitzschnell und es gewinnt doch nichts weiter als immer nur die Ausführung des jeweiligen Zuges.

Marshall Chess Club gediegen Genau so ergeht es mir. Mit viel Aufwand arbeite ich mich wieder in eine Stellung auf Augenhöhe zurück und erreiche schließlich sogar Vorteil, aber die andauernde Zeitnot fordert ihren Tribut in Form eines einzügigen Damen- und somit Partieverlustes. Bei nur vier Turnierrunden insgesamt, dem kampflos zuerkannten Remis der ersten Runde und nun dem Verlust in der zweiten Runde ist das Turnier damit eigentlich auch schon gelaufen. Klar, dass kein Gegner von den vorderen Brettern mehr zugelost wird. Fast tröstend erreichen mich daher die Worte meines Gegners im sich anschließenden Pausengespräch vor der Tür, der mir großes Tennis nach der missratenen Eröffnung bescheinigt. Thanks.

Washington Square Park Überraschend wie enttäuschend gerät dann der Umstand, dass mein zugeloster nächster Gegner der dritten Runde ... fern bleibt! Und so streife ich etwas durch die mittlerweile duster gewordene Umgebung des Spiellokals, welches sich übrigens nicht in Dallas selbst, sondern im Nachbarort Richardson befindet, günstig gelegen zwischen einem hübschen kleinen Park und einem Shopping-Areal im Rücken. Dort gönne ich mir ein kleines Abendessen in einem der typischen Schnellrestaurants, allerdings mir bis dato unbekannten Namens.

Ming Dynastie in Action Zur vierten und somit Schlussrunde sitzt mir ein Knirps gegenüber, sicher ein direkter Nachfahre der Ming-Dynastie, so regungslos wie er seine Züge herunterspult, die bei etwa gleichbleibendem Tempo allerdings zunehmend schwächer werden, bis ihm nichts mehr zum Spielen bleibt und er artig das Händchen reicht. Ich habe keine Neigung mehr, auf den Endstand zu warten und verlasse das Etablissement.

Preisliste: Spielen 2$, Kiebitzen 2.50$, Beschwerden 10$ Auf dem weiteren Weg durch die Südstaaten u. a. mit Stationen in New Orleans LA, Auburn AL, Athens GA, Chattanooga TN, Memphis TN ergibt sich trotz steter und aufmerksamer Recherche und Abgleichs mit dem Reiseplan nur noch in Nashville TN die realistische Chance zu einem weiteren Schachklubbesuch. Denn dort soll am Abend meines Eintreffens ein Halloween-Blitzturnier stattfinden, natürlich bevorzugt kostümiert. Eine Stunde Zocken vorm Village Chess Shop nach dem geplanten Anpfiff spuckt mich der Highway vor das Haus, doch es ist finster, niemand anwesend. Meine spätere Mail-Rückfrage an den Vorsitzenden beantwortet dieser mit Bedauern so: "Es erschien niemand zum Turnier. Wir haben etwa 10 Minuten vor Ihrem Eintreffen dann leider dicht gemacht." Schade. Aber die Zugkraft der 64 Felder gegen die der Monstermasken zu stellen, war vielleicht doch ein gar zu verwegenes Unterfangen.

Village Chess Shop Nicht nur in diesem Fall sind die vielen Aktivitäten der US-Klubs rund um das Kinder- und Trainingsschach nicht zu übersehen. Besonders augenscheinlich im Süden schon beim Internet-Auftritt u. a. bei Pensacola FL , McKinney TX und dem inzwischen aufgrund einiger medienwirksamer Veranstaltungen weit überregional bekannten Klub von St.Louis MO. Die Spielzeiten in den Klubs werden kaum als gemütlicher Sozialraum, sondern fast ausschließlich als Trainings- und Wettkampfstätte wahrgenommen. Das Angebot und tatsächliche Interesse gilt der Didaktik, zur allgemeinen Ausbildung kognitiver Fähigkeiten, insbesondere natürlich bei Kindern. Dafür bringen Eltern ihre Kinder zum Schachklub, Washington Square Park fighters zur Steigerung der Leistung in der Schule und nicht etwa weil Schach ein besonders schönes oder lustiges Spiel wäre. Wenn nicht die Unterweisung, dann ist alleine das Kräftemessen, das Leisten anhand ernsthaft gespielter Partien oder das ernsthafte Studium der Materie der Grund für einen Besuch des Vereins. Nur höchst selten kommt jemand einfach nur so, zum Vergnügen. Das bestätigte sich durchweg in allen besuchten Vereinen, im Gebaren und aus den geführten Gesprächen.

Chess Forum New York Mannschaftskämpfe wiederum sind ein vom Vereinsleben völlig abgekoppelter Bereich. Alleine die Städte oder Staaten in den Kunstnamenkreationen wie beim Eishockey geben den Kombattanten der US Chess League eine Art Lokalkolorit. Denn die Teams werden vor jeder Saison neu zusammengestellt. Ähnlich wie beim Soccer achtet die Liga mit diversen Limitierungen in den Regeln darauf, dass alle Mannschaften nominell in etwa gleich stark besetzt sind. Auf diese Weise soll die Spannung in der Meisterschaft Marshall Chess Club hoch (Alleingänge wie etwa durch Baden-Baden in Deutschland wären weitgehend ausgeschlossen) und die Allmacht des Geldes beschränkt bleiben. So hängen Erfolg oder Misserfolg in einer Saison von ganz anderen Faktoren ab, als einfach nur die stärksten Spieler verpflichtet zu haben. Ein Mannschaftskampf wird mit vier Akteuren pro Team ausgefochten, zehn Spieler werden auf dem jeweiligen Roster gemeldet. Da die Entfernungen trotz der Ligaaufteilung in Eastern und Western Division immer noch beachtlich sind, werden die Matches zumeist elektronisch geführt! Unter Aufsicht eines zugelassenen Schiedsrichters werden die Züge der vier Partien via Internet an die jeweiligen Gegner übermittelt. Es funktioniert! Eine Identifikation mit diesen eher beliebigen Grüppchen dürfte jedoch schwer fallen. Aber darum wird es wohl auch kaum gehen.

Barrington Bridge Club Darum geht es auch nicht in den Parks wie dem aus "Searching for Bobby Fischer" bekannten Washington Square Park in Manhattan oder den Schachläden wie dem in der Thompson Street beheimateten Village Chess Shop. Da wird gezockt, jeder für sich, nur das Schach im Fokus.
Und auf den Straßen der Stadt der Künste N'awlins da gabelt sich der Fork Master mit seiner Kreativität einen Spiel- und Gesprächsgefährten, Schach ist nur Zufall, es stört kaum.

Dana & Jennifer Nach der Rückkehr von dieser Reise liegt daheim im Briefkasten eine Airmail aus Amerika. Inhalt ist die formelle Aufnahme in den Schachverband USCF nebst einem Turnierplan und dem Mitgliedskärtchen, gültig bis 31. Januar 2013.

Mikly

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