Italiens Ströbeck

Plakat zum 550jährigen Als 1451 Christoph Columbus in Genua das Licht der noch etwas kleineren Welt erblickte, erblühten ein paar Kilometer weiter östlich bei den treuen Vasallen der konkurrierenden Repubblica di Venezia die Begehrlichkeiten hinsichtlich der schönen Maid Lionora, Tochter des Schlossherrn Taddeo Parisio von Marostica, welches nahe Vicenza mitten im Dreieck Trento, Venedig und Verona liegt. In Verona wiederum nahm die berühmte Tragödie "Romeo und Julia" wenige Jahrzehnte später ihren Ursprung. Wenn auch nicht tragisch, so doch blutig hätte es auch 1454 in Marostica enden können, als sich die Edelleute Rinaldo D'Angarano und Vieri da Vallonara zum üblichen Duell um die Hand der Lionora forderten. Ihrem Vater indes mocht es gar nicht gefallen eine der politisch günstigen Jungfrauen Verbindungen unwiederbringlich in den Staub sinken zu sehen und er rief also stattdessen in Übereinstimmung mit dem Edikt des Cangrande della Scala di Verona ein Duell im Geiste aus: Derjenige der edlen Kontrahenten möge die Hand seiner ältesten Tochter zum Weibe erhalten, der es vermag, seinen Gegner in einer Partie Schach zu besiegen! Und wenn schon nicht auf Leben und Tod, so doch in besonders würdigem Rahmen habe dieser Kampf stattzufinden. Das ganze Volk, die Bauern der Umgebung, Abordnungen aller wichtigen umliegenden Fürsten bis hin nach Florenz, Gaukler, Meister der Fahnenwurfkunst, Jungfrauen und der ganze Hof sollten teilhaben an der feierlichen Zeremonie mit Musik und Tanz rund um die Entscheidung auf den 64 Feldern. Prächtig gewandete Darsteller mimten die Gaukler von den Kombatanten gerufenen Figuren der Partie auf dem Platz vor dem unteren Schloss. Und, als Trost spendenden Schachzug für den Verlierer versprach ihm der kluge Taddeo vorab die Hand seiner jüngeren Tochter Oldrada. Ob der ausgesetzten Trophäen und da beide Männer hervorragende Spieler waren, willigten sie gerne ein in das Duell ohne Schwert und Spieß. So war alles bereitet und alle konnten der inszenierten Schlacht frohgemut entgegensehen. Alle? Nun, nicht alle. Denn unglücklicherweise hatte sich die junge Lionora in einen der Begehrenden verliebt, wie sie einer vertrauenswürdigen Dienerin anvertraute. Klug genug den Namen nicht zu nennen, wollte sie eine brennende Kerze in das Fenster ihrer Kammer stellen, sollte der Auserkorene gewonnen haben. Dann könnte sich das ganze Volk mit ihr freuen.

Historisches Marostica Heute noch begeht der kleine Ort Marostica diese Legende mit einer getreuen Aufführung des Spektakels rund um die Lebendschach-Partie. Wie überliefert stets am zweiten Septemberwochenende organisiert der Verein "Pro Marostica" das Festival auf dem Schachplatz, der Piazza degli Scacchi, also alle zwei Jahre ein gigantisches Kostümfest mit originaler Musik und Sprache der Serenissima aus jener Zeit und über 550 Akteuren!
In diesem Jahr jährte sich die Begebenheit der Legende zum 550sten Male. Der ganze Ort befand sich wie im Fieber - kaum ein Geschäft, eine Auslage, die sich nicht schachlicher Symbolik bediente. Kaum eine Straße, in der niemand im Kostüm oder wenigstens mit glühenden Augen umherlief. Dazu zahlreiche Auswärtige, die sich Tickets für die eine oder andere Veranstaltung gesichert hatten. Wie auch wir.

Lionora, Sieger, Schwester, Verlierer, Schlossherr Marostica ist wundersam noch vollständig von seiner Stadtmauer aus dem 14.Jahrhundert umgeben. Der Ort selbst liegt zu Fuße eines Hügels und obwohl dieser nicht nennenswert bebaut ist, verläuft die Stadtmauer kurios über den Gipfel dieses Hügels hinweg. Offenbar wollten sich die Stadtbewohner damals nicht so einfach Angriffen von oben ausgesetzt sehen. Also installierten sie mit dem Mauerbau im Niemandsland quasi eine Art mittelalterlicher Luftabwehr.
Dank einer misstrauischen und abgesprungenen Schweizerin konnten wir beim Besuch im Juni einen Platz im einzigen Hotel innerhalb der Stadtmauern, dem "Due Mori" reservieren, welches von einem Piazza degli Scacchi im "Normalzustand" sehr freundlichen Pärchen geführt wird und ausgesprochen kreativ und dabei detailverliebt zum Wohlfühlen alle 10 Zimmer als Unikate offeriert. Zur Aufführung selbst hatten wir dann aber am falschen Ende, bei den Tickets, gespart. Von unseren Plätzen waren weder Fotos möglich, noch konnte ich der Partie folgen! Für jedes Bild musste ich aufstehen und dabei die Anzahl der Nervungen anderer Zuschauer möglichst gering halten, weshalb es aus dieser Warte ziemlich enttäuschend verlief. Enttäuscht mögen auch alle gewesen sein, die im wesentlichen Schach erwartet hatten. Die eigentliche Partie nahm nur etwa 20 Minuten der gut zweistündigen Aufführung in Anspruch (zur Aufführung gelangen stets recht kurze Klassiker), denn vor allem war es ein Kostümfest, ein Reigen aller zeitgenössischen Das Schloss im Freudenmeer gesellschaftlichen Schichten, verbunden mit originärer Sprache (mit reichlich französischen Anteilen), Gauklerei, Tänzen und Musik. Und das alles vor der wahrhaft eindrucksvollen Kulisse der bestens erhaltenen unteren Burg (auf der oberen Burg etwa am Zenit der Stadtmauer finden häufig Hochzeiten und sonstige Gesellschaften statt - natürlich mit bestem Blick auf den Schachplatz und die untere Burg ..). Bereits der Auftakt lässt gewiss nicht nur Kinderherzen höher schlagen, wenn Bogenschützen von den Zinnen der Burg die Seiten des Schachfeldes auf dem Platz entzünden. Riesen, Gaukler, Pferde und Markttreiben eröffnen hernach die gedachte Welt des Mittelalters, bevor der teilweise recht martialische zeremonielle Teil beginnt.

Schachliche Relikte in einer Kneipe Marosticas Schach in Marostica? Nun, schlendert man durch den Ort, so finden sich zu jeder Zeit reichlich Symbole auf die allzweijährliche Festveranstaltung, die spätestens seit der Neubelebung zum 500. Geburtstag 1954 auch ein gewisser wirtschaftlicher Faktor geworden ist und sicher nicht nur wegen anreisender Philatelisten. Und doch gewinnt man keineswegs den Eindruck Marostica wäre eine dem reinen Schachspiele zugwandte Gemeinde. Natürlich ist Schach in Italien längst nicht so populär wie in Deutschland oder gar Ländern Osteuropas. Das langgestreckte Land spielt seine Mannschaftsmeisterschaft zunächst in zwei regionalen Gruppen à sechs Teams, deren beste zwei dann zentral über Kreuz Halbfinale und Finale um die Meisterschaft ausfechten. Die Wettkämpfe werden an nur vier Brettern bestritten, wovon höchstens zwei durch ausländische Spieler besetzt sein dürfen! Nun, der Schachklub von Marostica gewann heuer zum vierten Male in seiner Geschichte nach 1993, 1997 und 2002 die italienische Mannschaftsmeisterschaft. Einer der aktuellen Titelträger ist übrigens in Löberitz ein guter Bekannter: Dr.Robert Hübner.

Mikly

Schach überall in Marostica (1) Schach überall in Marostica (2)

Zum Seitenanfang

 
Links