5. OL-Spieltag: SG 1871 Löberitz - USG Chemnitz
Februarklee
Vorfreude. Die Logistik des Wochenendes wurde entscheidend beeinflusst im Juni des Jahres 2006 (Sorry, Brain!). Damals hatten sich die Löberitzer Schachtage auf das Programm geschrieben. Es herrschte wie gewohnt herrliches Sommerwetter, Mittagszeit, gute und weite Sicht, eine voll ausgebaute dreispurige Autobahn und ich kroch mit bescheidenen 102 km/h gemächlich durch die Lande der A4. In Konsequenz wurde dieses schwere Vergehen von den
Hütern der öffentlichen Verkehrssitte völlig angemessen mit einem Entzug der Fahrerlaubnis für einen ganzen Monat zuzüglich der üblichen monetären Umverteilung geahndet. Ein Lob an dieser Stelle den modernen Zeiten, wo sich die Opfer der Straßenräuberei eingedenk ausgefeilter Ohnmacht getrost von jedem Gedanken daran verschont fühlen dürfen, ob Gegenwehr außer gesicherten Zusatzverlusten irgendeinen Sinn ergeben könnte. Diese Mühe wäre also schon mal eingespart.
Dafür schlagen die Anpassungen an den prinzipiell natürlich äußerst unterstützungswürdigen öffentlichen Personennahundfernverkehr ob niedriger Frequenz, zu studierender Fahrpläne und Anschlüsse, zeitintensiver Streckenführungen (zur Arbeit ist der Bus fast so schnell wie der eigene Pkw, würde er nicht kurz vor dem Ziel noch einen viertelstündigen Abstecher zur Exkursion durch Gravenbruch einlegen ..), Gepäcküberlegungen (alles will selbst getragen werden) sowie zu tätigender Reisevorbereitungen wie Fahrkartenkauf doch um so mehr zu Buche. Damit einher gehen längst vermisste Erfahrungen wie mit dem 9:19-Bus, der um 9:17 Uhr vor der Nase wegfährt und
dabei gleich eine ganze Lebensstunde mitnimmt oder der 21:11-ICE in Weimar, der mich vom Punktspielwochenende zurück an den Main bringen sollte. Als ich den Bahnhof betrat, waren 5 Minuten Verspätung angezeigt. Diese addierten sich schnell per Anzeige und Durchsage auf 15, dann 30, dann 40 und schließlich, derweil die Anzeige fortan stets weiterhin auf 40 Minuten beharrte, per Durchsage so etwa 10 vor 22 Uhr auf 55-60 Minuten. Das war es – Ende der Durchsage! Die nächsten 40 Minuten kam nichts mehr. Das Personal hatte wohl inzwischen Dienstschluss. Aber nein, gelegentlich wurde immerhin auch die Verspätungsanzeige des für eine Stunde später
vorgesehenen letzten ICE des Tages sukzessive angehoben. Da hingen also mit mir noch etwa 20 Leute in der um diese Uhrzeit äußerst tristen Bahnhofshalle (der Bahnsteig selbst war als Aufenthaltsort entschieden zu uselig) und keiner hatte eine Vorstellung davon, was wird. Unausgesprochen ausgemacht war spätestens nach 22 Uhr, dass der "vorletzte" Zug hier nicht mehr aufschlagen würde. Die offene, bei andauernd vollkommen abwesendem Bahnpersonal (nein, Moment, kurz nach 22 Uhr erschienen zwei Leute vom Wachdienst, die ihre Langeweile brav vor
der Halle rauchend kompensierten), Frage lautete, ob den dieser planmäßig "letzte" Zug jemals noch heranrollen sollte und wenn ja, wann? Mit der Beantwortung verblieb indes jeder alleine für sich und für jeden war die persönliche Situation bezüglich der in Betracht zu ziehenden Konsequenzen wohl individuell, z. B. je nachdem, ob sich ungeachtet ungesicherter anderweitiger Deckung noch genügend Kleingeld für ein etwa aufzusuchendes Hotel in einer Hosentasche finden ließ.
Den Reiseveranstalter "Deutsche Bahn" kümmerte all' das nullkommaüberhauptnicht. Schließlich waren die Plakate über die Bemühungen zur Kundenfreundlichkeit, die Fahrgastrechte, die Hausordnung und den bezaubernden Charme der Bahnhöfe ausgehängt und die Tickets waren verkauft. Wozu dann noch Personal vorhalten? Wozu dann noch irgendeine hilfreiche Information lancieren? Die ewige Crux des Ökonomieunternehmes? Als aus Steuermitteln subventioniertes Staatsunternehmen keine Notwendigkeit eines Servicegedankens und als Aktiengesellschaft kein Personal mehr? Natürlich ist die Bahn nicht für jede Störung des Betriebsablaufes wie diesmal mit dem sicher bedauerlichen Vorfall in Bad Kösen selbst verantwortlich, doch andererseits sind Störungen des Betriebsablaufes aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrung kein völlig unvorhersehbarer Kometeneinschlag, woraus sich also gewisse Vorkehrungen zur Minderung der Auswirkungen (Bereitschaft!) treffen ließen und selbst wenn das unmöglich sein sollte oder nicht greifen würde, dann ist es mindeste Pflicht den betroffenen Kunden konstruktive Informationen zukommen zu lassen, wie es für sie weitergeht und was sie tun können. Dienstleistungswüste Deutschland – sie lebt, wächst und gedeiht. So! Chapeau jedenfalls den ÖPV-Hasardeuren wie Holly!
Ok, irgend etwas sonst fand an diesem Wochenende auch noch statt .. – richtig, die lange Winterpause des Punktspielbetriebs strauchelte unaufhaltsam ihrem Ende entgegen. Und wer brachte mich hin? Größtenteils der öffentliche Personennahundfernverkehr! Danke! Freitag morgens noch aufgrund einer unnötigen Dringlichkeit mit dem Taxi op Schicht, mit dem Bus wieder zurück, gepackt, mit der S-Bahn nach Frankfurt Ostendstraße zum Umsteigen, dort S-Bahnticket gelöst (Monatskarte gilt nicht in Frankfurt) doch die Anschluss-S-Bahn verpasst, oben vergeblich nach Taxistand gesucht, Taxi an der Ampel verhaftet, zum Südbahnhof, den Zug nach Erfurt erreicht! Von Riker eingesammelt leider unbecamt endlich mal das Kleinod Erfurt besichtigt, Schachkarten ("Chess" in Nordhausen!) gefunden, das Gaststättenpersonal zu kulinarischen und schokoladigen Höchstleistungen motiviert, keine Pizza in die blau leuchtende und anregend beschallte Wohnung gebracht, Cocktailkeller aufgetan und Kreationen zugunsten des Pegels inkrementiert und dann so gegen zwei – Blitz! Doch der Homepageman ist zeitlos! Da hilft nur noch Medizin! Und tatsächlich, die Erfurter Szene hält sich wacker – launige Blitzpokerplauderstunden folgten.
Die Vorbereitung am Samstag nach dem gewohnt opulenten Berlinerfrühstück (eine Hommage an die Brainsche Berlinleistung?) huldigte dem Déjà-vu des Luxusproblems "Wer Wo?". Das ging seinerzeit schon gegen Rochade respektive Wolfen schief. Es gelang immerhin die Koordinierung der Truppensammlung von Autobahnen, elterlichen Häusern und Hallenser Kinos (ja, Tanzis Frage nach Kate & Jim wurde mit leichter Verspätung auch noch geklärt) zum Wolfener "Sokrates".
Dem Querfeldein durch die Speisekarte, flankiert von zwei Ouzolagen folgte die Heimsuchung der Gemächer. Full house dann am Sonntag in den SG-Räumen. Mangels Kapitän II.-Helfer Riker übernahm Konrad höchstselbst die Begrüßung der zeitigen Gäste aus der ehemaligen Stadt eines politischen Vordenkers. Und die Ex-Zweitligisten brachten mit ihrem Youngster (nominell zugunsten ihrer Reserve) eine echte Überraschung mit. Wie schon zur Auftaktrunde gegen Halle erwies sich die lange Pause als schädlich für uns. Erneut galt es eine Niederlage zu quittieren, doch diesmal war die Ähnlichkeit mit dem berüchtigten Kropf unverkennbar.
Das kam etwa so: Verlass auf die Mittelachse. Brain, DEM-gestählt, frühstückte erst einen Bauern, später noch einen und kombinierte sich schlussendlich zur 1. Normi pachtete "Stellungsglück" (!), woraus sich gegen einen Offizier Kompensation einfand und Carlo Kunze nach der falschen 50%-Königszugchance diesen in die Horizontale gab. Derweil hatte Holly kämpferisch das Friedensangebot von Manuel Feige nach 15 Zügen abgelehnt und geriet alsbald in weniger günstige Bilder, die sich hernach aber doch wieder in die berühmte Breite begaben. Plus zwei ist schon eine hübsche Vorlage, doch sie will noch verwertet werden. Fehlanzeige! Während bei mir unter Bauerngabe gegen Kompensation überhaupt nichts los war, brillierte am Nachbarbrett Jürgen Kyas mit der Augenweide Sc6, wonach die schwarze Stellung getrost abgeschrieben werden durfte.
Auch Simon hatte sich nach beiderseits kreativer Eröffnungsführung in ein freudloses Doppelturm-gegen-Dame-Endspiel nebst lästiger Bauern verhaspelt. Zudem ließ Dana in komplizierter Stellung einen einzügigen Gewinn aus und musste sich hernach im Endspiel mit zwei Figuren dem allzu aktiven Turm fügen. Untröstlich war sie fortan nicht mehr aufzumuntern – immerhin fanden die Falafeln doch noch den Weg in die Verwertungstrakte, bevor Uwe Brains Berlintour egalisierte.
Übel bekam meiner Partie der haarsträubende Paradigmenwechsel – im sicheren Gefühl, dass nach Erreichung des völlig harmlosen Dame-Turm-Endspiels jedwedes Remisangebot jedweder Seite jederzeit sofort begrüßt würde, lief nichts mehr zusammen. Erst versäumte ich den Diagonalschutz des Königs mittels Db7, ließ dann gewisse Komplikationsversuche zu, um hernach in noch erträglicher Zeitnot mit Tb6? statt Tg8 und nochmal mit Dxg5??? statt Dd6 leichtfertig das weiterhin eigentlich unausweichliche Remis zu schenken. "Die DeepFritz-Eröffnungswahl verdient den UNESCO-Preis für besonders humanitäres Verhalten" (Chrilly Donninger in SCHACH Magazin 64 Ausgabe 01/2007) kam mir sinngemäß sofort in Erinnerung. Aufbau Chemnitz pur. Einfach unglaublich schlecht.
Harald mühte sich nach ordentlicher Eröffnung in einem ausgesprochen wechselhaft beurteilten Endspiel (innerhalb von zwei Minuten berichteten Augenzeugen dem interessierten Publikum "Klar gewonnen!", "Klar Remis!", "Warum hat er den Bauern nicht genommen – völlig unklar!") doch blieb das Glas letztlich nur hälftig gefüllt. Und Brett 7? Yogi ackerte und schuftete sich durch sein aussichtsloses Unterfangen,
verkomplizierte, täuschte und trickste seinem Gegner einige Nervositäten auf bis .. auch er noch ein paar Schlucke nehmen durfte! Die logischen Ausgänge auf den Hinterbänken waren damit auf den Kopf gestellt doch es blieb die ernüchternde Bilanz der Gesamtniederlage gegen eine alles andere als übermächtige Mannschaft, die somit weiterhin im Aufstiegsrennen bleibt, während unsereiner nun zunächst erst einmal sich wieder um Konsolidierung bemühen darf.
Hungrig machen sogar insgesamt unbefriedigende Leistungen, doch weder zeigte sich der geschlossene Landgasthof noch der Dorotheenhof ("Essen ja, TV nein!") an Umsätzen interessiert, wonach die Zörbiger Pizza- und Dönerbuden frohlocken durften und uns das museale WM-Finale mit den begehrten Kalorien versaucten. Angesichts der geschlossenen Minusergebnisse von I., II. und III. hätten wir das 29:24 als Anschauungsunterricht allerdings wohl eher am frühen Morgen benötigt. Klee eben. Vorfreude und "gute Gefühle" erweisen sich beim Hinhören zuweilen als fruchtloses Grünzeug. Es braucht bessere Medizin. Wohlan!
Mikly
SG 1871 Löberitz | USG Chemnitz | 3,5:4,5 | |
---|---|---|---|
1 | Pröhl, Holger | Feige, Manuel | ½ |
2 | WGM Reizniece, Dana | IM Womacka, Matthias | 0-1 |
3 | Schuster, Martin | FM De la Cruz, Alfredo | 1-0 |
4 | Schütze, Norman | FM Kunze, Carlo | 1-0 |
5 | FM Matthey, Harald | Schenk, Alexander | ½ |
6 | Spreng, Simon | Lorenz, Gerd | 0-1 |
7 | Bilawer, Andreas | Kyas, Jürgen | ½ |
8 | Klyszcz, Michael | Schätz, Christopher | 0-1 |
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