Erlebnisbericht Ramada-Cup Aalen oder Ey Mann Ey!

Es ist Sonntag, der 21.12.2003, 4. Advent. Es ist kurz nach 15.00 Uhr und ich sitze nicht bei lecker Tee und vier brennenden Kerzen am Kaffeetisch, sondern bin gerade in den IC eingestiegen, der mich von Aalen nach Nürnberg bringt. Heimfahrt ist angesagt! Hinter mir liegen vier Tage, die ich so schnell nicht vergessen werde - obwohl ich dies wohl sollte! "Abhaken", "Verdrängen" oder "Nicht-so-schwer-nehmen" sind da meistens die Schlagwörter - die bei mir nie so richtig Wirkung zeigen, denn wer mich kennt weiß, daß ich nicht wirklich zu ertragen bin, wenn schachlich die Leistung gegen den Baum läuft. Da heißt es dann nicht 5 hoch 3, sondern ungenießbar hoch 3. Dem steht als Indiz für ordentliches Schach mein "sich-beim-Reden-fast-überschlagen-und-andere-sinnlos-vollquasseln"-Verhalten gegenüber. Tja, so ist das.
Mitte November hatte ich mir überlegt, beim Ramada-Cup in Aalen vom 19.12.-21.12. mein Glück zu versuchen. Glücklicherweise hatte sich auch Mikly zur Anmeldung hinreißen lassen, womit die Teilnahme zweier Löberitzer perfekt war. Steffi war natürlich auch mit von der Partie; weise vorausschauend spielte sie kein Schach (war das clever von ihr!) sondern genoss die Tage in den Limes-Thermen oder schlief sich einfach mal richtig aus. Da Freitag früh bereits die erste Runde anberaumt war, reiste ich bereits Donnerstag abend an. In knapp 5 Stunden brachte mich die Deutsche Bahn via IC und ICE von Leipzig über Nürnberg nach Aalen. Dort angekommen stiefelte ich ca. eine halbe Stunde vom Bahnhof in Richtung Unterkunft. Daß dabei mangels Regen nicht so richtig "Stimmung" aufkommen wollte, war klar, aber dazu später mehr. Als ich meine Herberge dann erreicht hatte, bezog ich auch gleich mein Zimmer, in welchem ich mich in der Schachbettwäsche (Zufall oder Absicht?) auch alsbald zur Ruhe bettete. Frohgemut und voller Tatendrang ging es am Freitag (wieder ohne Regen!) zu Fuß zum Hotel. Ich hatte nur eine grobe Ahnung, wo das Hotel zu finden war, deshalb fragte ich "an einem kritischen Punkt" lieber einen Einheimischen nach dem Weg. Ich hätte auch eine Münze werfen können. Nicht weil ich die mir gegebene Info als 50%ig falsch einschätzte, sondern weil anhand der Sprachbarriere Verständnisprobleme vorprogrammiert waren. Bezeichnend war, daß ich mit den Worten "... also hier vorne muß ich dann erst einmal links, ja?" zusammenfassend das Gespräch beendete. Dafür bekam ich immerhin ein zustimmendes Nicken. Da das Ramada-Hotel auf einem Berg lag, mußte man diverse Höhenmeter überwinden. Pünktlich zur Anmeldung war ich dann im Spiellokal. Kurz vor 10.00 Uhr ließ sich dann auch ein übernächtigter Mikly blicken. Hätten wir auch nur ein Fünkchen der von Konrad bei Normi entdeckten seherischen Fähigkeiten in uns gehabt, hätten wir diese vorerst letzten Momente in positiver Grundstimmung wohl anders genutzt ;-).
Dann ging es endlich los! Mikly, der wegen der strengen Kappungsgrenze von 2100 in der B-Gruppe spielen mußte, kam über mysteriöse Umwege in ein Eröffnungssystem, was ihm so gar nicht behagte. Unbehaglich dann auch das Ergebnis, er verlor seine Auftaktpartie. Er war natürlich bedient. Meine Schwarzpartie in Runde 1 begann zunächst ganz gut, ehe ich jedoch dem "Element Zeit" zuviel Macht über mich zustand, mein chronisches Leiden Zeitnot hatte wieder mal vollkommen Besitz von mir ergriffen. Diesmal war es aber besonders schlimm: 3min/12 Züge war so die Preisklasse, in der ich mich bewegte und die Stellung war keineswegs einfach. Symptomatisch dann natürlich, daß mir die Zeit, als ich sie gebraucht hätte (die Stellung war nicht schlechter für mich, im Gegenteil, da mein Gegner auf die Rochade verzichtet hatte, fühlte ich mich sogar recht wohl) fehlte und ich zweizügig Material verlor. Danach fischte ich noch etwas im Trüben, wie man das halt so macht, wenn es noch zu früh zum Aufgeben ist und man der vergebenen Partie nachtrauert. Plötzlich bekam ich noch eine Chance. Mein Gegner übersah einen taktischen Schlag, schüttelte daraufhin Garri-like den Kopf und brauchte eine Weile, um das zu verdauen. Leider war meine Zeit so knapp, daß ich noch 1-2 ungenaue Züge fabrizierte und verlor. In der Analyse mit Mikly konnten dann tatsächlich reelle Chancen für mich festgestellt werden. 0/2 - was für ein Start für Löberitz! Die Folge war Lamentieren an allen Fronten. Naja, man hatte ja noch die Nachmittagsrunde! Endlich mit den weißen Steinen ausgerüstet, versuchten wir es auf´s Neue. Mikly holte nichts aus der Eröffnung heraus und landete schnell in einem Doppelläuferendspiel, was wohl leicht besser, aber schwer zu gewinnen schien. Unter Mithilfe seines Gegners, der einen Feldarbeiter einstellte, konnte er dann den ganzen Punkt einstreichen. Ich habe es mit einer seltsamen Variante im Skandinavischen zu tun und wirke irgendwie recht planlos. Das von meinem Gegner angebotene Remis behandelte ich abschlägig, obschon mir mein Gedächtnis mit den Stichwörtern "russischer Schachschule" und "lieber erst mal ein Remis einschieben" etwas die Sinne vernebelte. Ich hätte es wohl wirklich annehmen sollen, zumal es nach einem ungenauen Zug von mir kam. Nüchtern betrachtet spielte ich danach grottenschlecht, krampfte irgendwelche Züge zusammen, ließ meinen Gegner kampflos gewähren. Mit eben solcher horrender Zeitnot wie zuvor gab ich in hoffnungsloser Lage auf. Mein absoluter Fehlstart war beschlossene Sache! Wie gesagt: Objektiv hatte ich meine Zeit in beiden Partien schlecht eingeteilt, wollte kein Remis und spielte wirklich schlecht. Wie sich der weitere Abend gestaltete, könnt ihr euch sicher selbst ausmalen: Mißmutig dreinblickend und verärgert über mein schlechtes Schach mampfte ich die Pizza in mich hinein, während Steffi und Mikly meine Anwesenheit ertragen mußten. Eine Erkenntnis des Abends war, daß ich die Utopie, eine "perfekte Partie" zu spielen, begraben sollte ("... ja, des is ja grad des..." würde Feldwebel Schulz aus "Ein Käfig voller Helden" sagen). Der Grund für meine ewigen Grübeleien ist nämlich der, daß ich mir den Kopf zerbreche, obwohl es gar keinen Grund dafür gibt; da gucke ich hier, rechne und prüfe da usw. und verbrate die kostbare Zeit. "Einfach ziehen" - so das profane Rezept vom Kölner Jung. Es mag absurd klingen, aber ich war skeptisch und überzeugt zugleich von dieser simplen Lösung eines mir sehr komplex erscheinenden Problems. Ich wollte es probieren! Mit der Hoffnung auf Besserung und dem Gefühl das man eben hat, wenn man 0/2 vorzuweisen hat, schlief ich ein. Die Eigenschaft der Ramada-Cups, das in einer Gruppe etwas gleichstark Spieler aufeinandertreffen kann einem eben auch zum Verhängnis werden, denn im Gegensatz zu einem Open, sitzt man mit 0/2 keinem Schwachen gegenüber, sondern einem gleichstarken, ebenfalls nach Zählbarem lüsternden Widerpart.
Am nächsten Morgen erreicht Mikly nach einigem Hick-Hack eine vorteilhafte Position. In einer Stellung der (un)begrenzten (Zug)möglichkeiten (wer kennt das nicht, wenn es kompliziert ist, und man darf sich nur für einen Zug entscheiden?) entschied er sich vermutlich für die falsche Fortsetzung, die ihm zwar einen Qualitätsgewinn einbrachte, jedoch entpuppte sich der gegnerische Läufer als so stark - zu stark - daß er in Verbindung mit einem Freibauern schlicht und einfach stärker als der Turm war. 1/3 - totaler Knockout, rien ne va plus! Meiner-einer startete im Kopf zum dritten mal die 1.Runde ;-) und spielte völlig zwanglos drauflos. Ich spielte bewußt schneller, "zog einfach" und gelangte durch zwei(felhafte) Züge meines Gegenüber in Vorteil. Diese konnte ich dann (endlich!, wie früher ;-)) auch zum vollen Punkt ummünzen. Keine Zeitnot, eine ordentliche Partie... ich konnte es also doch noch, ein wenig Selbstvertrauen kehrte zurück. Die Nachmittagsrunde bescherte Mikly einen Holländer (also als Eröffnung), den er nicht zum Besten behandelte. In wohl für ihn deutlich nachteiliger Stellung (ich muß zugeben, daß ich von der Partie nicht so richtig viel mitbekommen habe) nahm er das Remisgebot natürlich dankend an - die unendliche Tragödie Teil IV. In meiner zweiten (und letzten) Weißpartie wollte ich unbedingt an die 3.Runde anknüpfen. In wenigen Minuten konnte ich die bekannte Eröffnung herunterspulen und somit war Zeitnot wieder kein Thema! In der kritischen Stellung überlegte mein Gegner ziemlich lange, fand aber keine befriedigende Fortsetzung, so konnte ich einen dauerhaften Vorteil festhalten. Im weiteren Verlauf gewann ich zwei Bauern, ehe ich nach fast 5 Stunden den Sieg eingefahren hatte. Nun standen 2/4 zu Buche. Mit zwei guten Partien hatte ich meine Schmach und mein wahrlich schlechtes Schach fast wieder wettgemacht! Ganz anders also dieser Abend, an dem ich wohl der einzige war, der an unserem Tisch kein Glas umwarf ;-)!

So eben bin ich in Nürnberg umgestiegen. Glücklicherweise habe ich den ICE nach Leipzig bekommen; noch bei der Abreise von Aalen hieß es, daß durch die heftigen Stürme eine Oberleitung kaputt gegangen wäre und das deswegen eine Umleitung gefahren werden würde, womit ich den Zug in Nürnberg nicht gekriegt hätte. Doch die Störung wurde schnell behoben. Nicht auszudenken, wann (und ob) ich zu Hause angekommen wäre ...

Also wie gesagt: Samstag abend war für mich wieder alles im grünen Bereich, während nunmehr Mikly mit seinem 1,5/4 gegen ELO-Gegner (sein letzter hatte keine) haderte. Sonntagmorgen bewegte ich mich dann mit Sack und Pack in Richtung Hotel. Nieselte es anfangs noch leicht, entschied sich Petrus schnell und leider allzu rigoros für die Parole "Regen" - aber richtig! Da kam "Stimmung" (siehe oben) auf! Völlig durchgeweicht kam ich 10 Minuten vor Rundenbeginn im Hotel an. Ratschläge wie "Hättest dir doch ein Taxi nehmen können" beantwortete ich nur mit einem "Njach" und dem allseits bekannten Schniefen. Meine Sachen konnten im Zimmer von Steffi und Mikly noch bis ca. 11.00 Uhr trocknen, ehe Steffi das Zimmer mit samt den Sachen verlassen mußte, wenn sie nicht noch einen halben Tag draufbezahlen wollte. Das alles war wohl als Omen für diesen Tag absolut ausreichend. Daß Skandinavisch zwar gut ist, um gegen bessere ein Remis "abzusaven" (Statement Mikly), es aber verdammt schwierig ist, damit zu gewinnen, mußte er in der Schlußrunde am eigenen Leib erfahren. Daß bedeutete 2/5 für unseren "Konsonantenmann" und die Hoffnung auf Wiedergutmachung beim Weihnachtsturnier! Ich gebe ehrlich zu, daß ich mir für die letzte Runde noch etwas ausgerechnet habe. Gegen einen gleichstarken Gegner wollte ich meine Leistung aus Runde 3 und 4 unbedingt bestätigen... und mit einem Sieg... (ich meine 3/5 nach 0/2 wären schon heftig gewesen). Aber nix da! Die Eröffnung lag mir irgendwie nicht und ich fühlte mich auch nicht wohl in dieser Stellung. So kam es, daß ich meinen kleinen Traum von mindestens 50% begraben und mich mit 2/5 begnügen mußte. Im Nachhinein betrachtet, sind 2/3 nach 0/2 natürlich okay, aber trotzdem sind -30DWZ und -12 ELOpunkte eine deutliche Sprache. Bei Mikly sind die Abzüge vielleicht noch etwas drastischer. Schlimm schlimm. Mit insgesamt 4/10 haben wir wahrlich enttäuscht und können nur den Kopf senken. Immer wenn es nicht läuft, schätzt man die ganze Aktion als "nicht lohnend" ein (Kosten, lange Anreise, nur 5 Runden...), aber mal ehrlich: wäre es ein gutes Turnier geworden, hätte man doch "alles richtig gemacht", oder? Um etwas zu gewinnen, muß man nunmal etwas riskieren, und da sind solche Erlebnisse eben auch mal dran!

In diesem Sinne,
gesegnete und schöne Weihnachten wünscht Brain.

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