Mainzelmännchen

Zum zehnten Mal fand heuer (14./15. bzw. 16./17.August) das Schnellturnier ORDIX-Open statt, diesmal wieder in Mainz. Angefangen hatte Organisator Hans-Walter Schmitt 1994 in Frankfurt, wo er nach einigen Jahren nicht mehr zufrieden war und kurzerhand aus dem Hessischen in die Hauptstadt von Rheinland-Pfalz umzog mitsamt der ausgesprochenen Perfektion dieser Veranstaltung. Und da sich wie 2002 wieder auch ein Schnellturnier abgewandeltes Fischerschach "960" im Sortiment befand, machte ich mich auf den überschaubar kurzen Weg, bot sich doch die günstige Gelegenheit neue Erfahrungen nebst dringendst benötigter Spielpraxis zu sammeln. Und wie immer war es in der großzügigen Rheingoldhalle direkt am Rhein ein Stelldichein der Meister unseres Fachs (ähnliche Gründe wie bei mir oder doch der üppige Preisfond?) sowie der vertrauten Gesichter aus dem Amateurbereich. 500 (!) Teilnehmer beim klassischen Ordix-Open am Wochenende und immerhin knapp 200 beim "960" an den nicht arbeitsfreien zwei Tagen davor! Was ist das nun - "960"? Beim Fischer-Schach wird die Aufstellung der Figuren auf der Grundreihe immer völlig neu ausgelost - auf beiden Seiten gleich natürlich.
Die Abwandlung besteht darin, daß beim "960" die klassichen Rochaden ermöglicht sind, mithin der König beliebig, aber immer zwischen den Türmen zu stehen kommt. Die Rochade-Endstellungen (König/Turm) sind die bekannten und die übrigen Regeln (nicht ins oder durchs Schach etc.) dazu auch. Somit ist einerseits sämtliche Eröffnungstheorie ausgeschaltet und andererseits kommt es irgendwann im Mittelspiel doch wieder zu einigermaßen vertrauten Mustern. In der Praxis sah das so aus, daß das Einsetzen der Musik die Teilnehmer in den Saal rief, wo außer den Paarungen auch auf einer Großleinwand die gerade neu ausgeloste Grundstellung zu sehen war, die dann von den Teilnehmern auf ihren Brettern aufgebaut werden musste. Anders als in den normalen Partien sind es dann die ersten Züge, die deutlich mehr Bedenkzeit verbrauchen und in den 1-2 Minuten vor Partiebeginn wird nicht etwa nett geplaudert oder in die Gegend gestiert, sondern man macht sich mit den Stellungsgegebenheiten vertraut und sucht bereits nach einer Strategie für die ersten Züge.
Interessante Geschichte.

Auch das Rahmenprogramm bot wieder Feinstes. Nach den Simultan-Aperitifs gab es an jedem Abend je zwei Schnellpartien auf der Bühne des abgedunkelten Saals vor einem ansehnlichen Publikum, das visuell wieder per Leinwand (für diejenigen die zu weit von den Protagonisten entfernt saßen) und durch über Kopfhörer verteilte großmeisterliche Live-Kommentare das Geschehen voll genießen durfte. Um die "960-Weltmeisterschaft" spielten Leko gegen Swidler und im "Geschlechterkampf" Polgar gegen Anand. Die beiden jeweils Erstgenannten verloren. Während Swidler einen Rückstand im Schlußspurt umdrehte glich Anand sogar dreimal postwendend aus und gewann die letzten beiden zur Entscheidung eines Matches bei dem es unter den acht Partien nicht ein einziges Remis gab!

Das Ordix-Open wurde vom Elofavoriten Grischuk gewonnen, der Sokolov trotz dessen Parforce-Auftakt mit 7/7 noch abfing. Sehr gute und ausführliche weitere Informationen gibt es auf der Homepage des Veranstalters oder auch bei Chessbase - Schach und Zirkus, Herzschlagfinale, Hauen und Stechen usw.,
deren Inhalte ich hier nicht wiederholen muss ..

Bleiben nur noch persönliche Randnotizen, die mit der vollzählig versammelten und spielenden und äußerst sympathischen Familie Jussupow beginnen .. hieß doch mein allererster Gegner dieser Tage beim "960"
GM Artur Jussupow, der somit das zweifelhafte Vergnügen hatte meine allerersten Gehversuche mit der "Zukunft des Schachs" mitgestalten zu dürfen. Drei Runden später hieß mein Gegner erneut Jussupow, diesmal war es der Ableger Alexander, dem ich durch ein übersehenes einzügiges Matt noch zu überraschender Freude verhalf. Am Samstag begann mit dem Ordix-Open ein neues Turnier mit nochmal über 300 zusätzlichen Teilnehmern ..
und mein Gegner der ersten Runde hieß ... Artur Jussupow! Wir haben natürlich beide herzlich über diesen kuriosen Zufall gelacht. Sportergebnisorientiert wäre dies indes meine einzige Freude in der Rheingoldhalle geblieben, denn auch ohne die leicht verschmerzbare große Rochade gegen die Jussupows befand ich mich diesmal nicht nur im normalen praxislosen Tief, sondern noch weit unterirdisch darunter. Schätze, von den 64 Feldern immer bestenfalls höchstens 50 auch nur wahrgenommen zu haben. Es war ein Albtraum! Und das lag mitnichten am gänzlich neuen und daher ungewohnten "960" der beiden ersten Tage. Dort gelang mir u. a. das Wunder mit dem 1.(!) Zug die Qualität einzustellen (der gegnerische weiße Läufer auf b1, mein Springer auf h8, Turm auf g8 und kein Springer auf f8 - herrje, ist das aufwändig über Eröffnungen im "960" zu sprechen ..) durch 1.c4 e5, 2. Lxh7 .. +-. Was haben wissenschaftliche Untersuchungen ergeben? Im Urlaub verliert man etwa 20% seiner geistigen Leistungsfähigkeit - das muss terminologisch definitiv falsch sein! Ich jedenfalls verliere sie nicht, ich behalte sie!

Nach dem 5.Ordix-Open 1998 und jetzt dem 10. will ich dennoch nicht wieder 5 Jahre warten bis zur nächsten Teilnahme. Denn sowohl die Stadt als auch das Turnier bieten mehr als genügend gute Gründe die Sommerpause zu überbrücken ..

Mikly

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