Entgegen dem Trend

Ein Bericht über das Erfurter Weihnachtsturnier 2008

Ist es möglich in einem Turnier 60 ELO- und 80 DWZ-Punkte zu verlieren? Die Antwort lautet einfach: "JA!". Allerdings waren wir zu dritt und alle noch in weihnachtlicher Geberstimmung.
Die Protagonisten in diesem Bericht sind Normi, Judith [Leipzig Gohlis] und meine Wenigkeit (Paul [TU Dresden]).

Pünktlichkeit ist das halbe Leben [26.12.2008]

Das Turnier begann wie immer am zweiten Weihnachtsfeiertag im Radisson-Hotel Erfurt. Um pünktlich zum Meldeschluss (17:30 Uhr) im Spiellokal zu sein, haben wir uns bereits 15 Uhr im Leipziger Hauptbahnhof zum Kaffee verabredet. Wobei man hier von einer 2/3- Mehrheit sprechen muss, denn Judith ist zu gut erzogen um einfach nur pünktlich zu sein. Sie wollte gerne noch eine "Reserve" einbauen. Aus diesem Grund (Welcher Mann kann einer wütenden Frau einen Wunsch abschlagen?) wurde der Kaffee verpackt und auf der Fahrt im Auto geleert.
Pünktlich 17 Uhr waren wir angemeldet und vertrieben uns die Zeit bis zum Rundenbeginn (18:30 Uhr) mit ein paar Blitzpartien. In der ersten Runde waren wir drei alle Favoriten. Leider lief es nicht wie erwartet, so dass Judith und ich nach fünf Stunden hartem Kampf um den ganzen Punkt in das Remis einwilligen mussten, während Normi souverän (in allerfeinster Normi-Manier) gegen Till Beyer mit Läuferpaar gegen Springer und Läufer gewann.
Leicht frustriert und Normi feiernd fuhren wir mit zwei aus drei ins Schäfer-Stübchen nach Weimar. Wir scherzten noch ein wenig das ein Score von 66,6% für uns eigentlich ziemlich gut ist und ahnten nicht, dass wir die kommenden Runden nie besser abschneiden würden.

Ist es zu kalt, bist du zu schwach! [27.12.2008]

Am Frühstückstisch sitzend und Kaffee schlürfend wurden die Erfahrungen der Nacht ausgetauscht. Hier stellte sich heraus, dass Normi ein Opfer der Zimmerverteilung geworden ist. Er hatte das Privileg in Reyks Wohnzimmer zu übernachten, welches allerdings nur über eine Heizung mit Kindersicherung verfügte. Nach mehrfachem Probieren (denn Normi hatte die verbale Beschreibung/Anleitung zur Inbetriebnahme der Heizung vergessen), mit einer extra dafür bereitgelegten Zange, wurden alle Heizversuche eingestellt und Normi eine zweite Decke bereitgestellt.
Runde 2 startete 9:30 Uhr im gutbeheizten Spiellokal mit beeindruckender Aussicht aus dem 17.Stock. Judith spielte nach verpasstem Figurenopfer (und damit wohl sicheren Punkt) erneut nur Remis. Nach holprigem Start und "leichter" Verluststellung konnte ich noch voll punkten. Nur Normi schien sein eigenes Turnier zu spielen. Gegen Michael Bornemann kam er schlecht aus der Eröffnung und fand nie wieder in die Partie zurück. So stand die Null fest.
Am Nachmittag (Runde 3) holten wir wieder zwei aus drei, wobei Normi und ich aus Gewinnstellungen in Kombination mit eigener Dummheit remisierten. Einzig Judith war es in dieser Runde vorbehalten den ganzen Punkt einzustreichen. Mit diesem schönen Sieg widerlegte sie erneut die Worte eines älteren Herrn (mit ca. 1700 DWZ) beim Gaußiger Weihnachtsmannschaftsblitzturnier, dass es doch unfair sei, das arme Mädchen als Kanonenfutter an Brett eins spielen zu lassen. Wenn er Judiths aktuelle Spielstärke gekannt hätte, wäre ihm sicher klar geworden, dass wir mit Kanonen auf Spatzen geschossen haben.

"Ich habe schon mal gegen einen Spieler mit 2360 ELO gewonnen!" [28.12.2008]

Am dritten Tag in Runde 4 sah lange alles nach Plan aus. Normi spielte mit leichter Wut im Bauch seinen einzigen Schwarzsieg im Turnier heraus. Meine Partie verlief ähnlich spannend und war auch schnell mit dem ganzen Punkt beendet.
Nur bei Judith sollte alles anders kommen. Nach Figurenopfer in der Eröffnung und ungenauer Fortsetzung stand sie auf Verlust. Doch der Gegner (2038 ELO) zeigte noch genügend Nerven. Sie schaffte es im Verlauf der Partie eine Gewinnstellung herauszuarbeiten, bis sie einzügig die Dame einstellte. Im Anschluss der Partie ereignete sich dann folgendes Szenario:
Der Gegner fing mit hochgerissenen Armen laut an zu jubeln und ließ sich von seiner herbeigeeilten Frau gebührend feiern. Judith gratulierte, unterschrieb den Meldezettel und wurde dann von ihrem Gegner darauf hingewiesen, dass sie eigentlich nach der Eröffnung aufgeben muss.
Diese Duftmarke eines Platzhirsches, der eigentlich keiner ist, zeigte bei Judith Wirkung. Bevor sie verbal zurückschlagen konnte, eilte ich zum Brett und fiel ihr ins Wort. Während ich dem Gegner, auf meine Art, auf sein peinliches Verhalten am Schachbrett hinwies, wollte ich Judith vom Brett wegzerren. Leider war es zu spät, denn des Gegners Frau mischte sich nun auch noch ein: "Ach Mädchen, du hast so gut gespielt!".
Dies war der zweite Nackenschlag, von einer Person, die kein Schach spielt und nicht weiß, wie man sich nach so einem Einsteller fühlt. In der folgenden Diskussion wurde ich zur Zielscheibe des Platzhirsches.
Mit den Worten: "Wer bist du eigentlich? [5 Sekunden Stille] Ich habe schon mal gegen einen Spieler mit 2360 ELO gewonnen!", entschied er das Wortgefecht klar für sich. Uns blieb nichts anderes übrig, als mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht und dem Gefühl die moralischen Sieger zu sein, in die Mittagspause zu gehen.
Die Nachmittagsrunde verlief weitaus unspektakulärer. Da wir beim Frühstück beschlossen hatten, dass derjenige abwaschen muss, der am längsten spielt, waren wir bereits nach drei Stunden fertig. Judith schob nach dem Schock am Vormittag ein Kurzremis ein. Ich konnte mit einem katastrophalen Fauxpas jegliche Chancen auf ein Preisgeld begraben und letzter war eindeutig Normi. Trotz seiner sensationellen 2/2 an diesem Tag wurde er zur neuen Küchenfee gekürt.

Wer legt hier eigentlich den Trend fest? [29.12.2008]

Am 29.12. standen die Runden 6 und 7 an. Auf der Fahrt zum Spiellokal instruierten Judith und ich den immer noch ums große Geld spielenden Normi, dass er doch in den letzten drei verbleibenden Runden noch mindestens ein Remis einschieben solle, damit uns die Anwesenheit bei der Siegerehrung erspart bliebe. Normi nahm die Ansprache wohl etwas zu ernst und unterlag FM Löw. In der folgende Analyse zeigte sich, dass Normis Bauernopfer wohl korrekt war, aber er mehrere Chancen auf Kompensation verpasste. Judith spielte wieder eine solide Gewinnpartie und ich gewann hübsch durch einen taktischen Trick.
Ein Trend war eindeutig nach der Nachmittagsrunde zu erkennen. Wenn Judith und ich gut spielten, versagte Normi oder anders herum. Da Judith mit ihrer Vereinskollegin Irene Helmbold schnell die Friedenspfeife rauchte und ich auch solide den Remishafen ansteuerte, konnte dies für Normi nichts Gutes bedeuten. Er verlor gegen seinen ELO-losen Gegner, den er bereits völlig überspielt hatte, durch ein sehenswertes Taktikmotiv. [Hierfür empfehle ich die mitgelieferte Partie.] Was ein Geschenk für den Gegner war, war das Ende einer Weißserie von 17 Partien ohne Niederlage.

Kann man noch lang rochieren, wenn man bereits kurz rochiert hat? [30.12.2008]

Um die Antwort vorweg zu nehmen: Der Normi kann. Allerdings ist die Ursache nicht ganz klar. Zum einen beschlossen Judith und ich nach wenigen Zügen die Remisen, so dass Normi eigentlich chancenlos war. Zum anderen ist er aber auch ein Opfer seiner eigenen Prinzipien geworden, da er gegen Schwächere niemals Remis bietet.
Im Nachhinein ist uns in den Sinn gekommen, dass Normi immer vom 2. Raum, in dem die hinteren Bretter gespielt haben, geschwärmt hat. Er fand diesen Raum angenehmer, da man von dort aus ein Parkhaus mit Ein-/Ausparkvorgängen beobachten konnte. Zur neunten Runde hätte er sicher auch dort spielen dürfen, nur ist Erfurt eines der seltenen Turniere, wo bereits nach acht Runden Schluss ist.
Das Fazit für Normi und mich lautet folglich: In jeder Beziehung versagt. Nur Judith konnte ihre Leistungen mit dem Gewinn des Damenpreises kaschieren.
Zum Schluss bleibt nur den Organisatoren zu danken, die ein perfektes Turnier auf die Beine gestellt haben und die Bitte an sie zu stellen, das Startgeld im nächsten Jahr mit eingebüßten ELO Punkten bezahlen zu können.

Paul

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