LGA-Cup Nürnberg 2012
Was für ein Tag! Erst die gerissene Windschutzscheibe, die angesichts des kommenden Weges auf die Schnelle repariert werden muss, was wiederum einige logistische Herausforderungen mit sich bringt, der geballte Büroalltag und dann verabschiedet sich auch noch der Monitor meines Computers, was nochmals ob der Reparaturbemühungen ordentlich Zeit wegfrisst. Schließlich schaffe ich es doch noch einigermaßen planmäßig auf die Bahn, dann, kurz vor Würzburg, sechs Kilometer Stau umfahren, bei der LGA eingeschrieben, noch zum Hotel, eingecheckt, wieder zurück und kurz nach 19 Uhr sind die Uhren in Gang gesetzt - das Turnier, der 9. LGA-Cup zu Nürnberg hat begonnen.
Nachdem Rīga die Hoffnung auf ein paar Partien gegen spielstarke Gegnerschaft bei Weitem nicht erfüllt hatte, Lichtenberg und Dresden als Langläufer auf diesmal nicht disponible Termine fielen, das Wiesbadener Schlosspark-Open seine Tore wegen Überfüllung bereits geschlossen hielt und Apolda leider auch diesmal der Wochenendarithmetik zum Opfer fiel, nun also last exit Nürnberg. Dabei ist der LGA-Cup alles andere als ein Lückenbüßer, dürfen doch ein starkes Teilnehmerfeld, perfekte Spielbedingungen in den Büros der Landesgewerbeanstalt Bayern und eine freundlich-hilfsbereit-kompetente Organisation als gesetzt gelten.
Viel hat sich seit meinem ersten Besuch vor vier Jahren nicht verändert, alle Räumlichkeiten wirken wie seinerzeit eingefroren. Auch sitzen wieder ein paar wenige Angestellte lautlos an ihren Bürotischen und mögen sich ihren Teil über die eingefallene Horde von Schachspielern denken. Das Organisationsteam um Michael Bezold wirkt ebenfalls beständig. Verändert hat sich hingegen meine Gesellschaft, es gibt sie nicht. Anita weilt diesmal auf der Schacholympiade in Istanbul. Dafür ist das Wetter deutlich besser, der Spätsommer breitet sein prächtiges Gewand über die Stadt. Diesmal habe ich keine der Turnierstandardunterkünfte sondern ein Arthotel im Zentrumsbezirk Gostenhof als Quartier erkoren.
Mein Gegner ist Patrick Zelbel, ein IM aus Dortmund. Ich spiele so drauf los und spiele und spiele und bleibe skeptisch, was nach so einem Tag dabei noch herausspringen könnte, zumal gegen ein um 500 DWZ-Punkte schwereres Gewicht. Die Stellung verschlechtert sich zusehends, aber den entscheidenden Punch landet er nicht. Ich lebe so vor mich hin, bis ihm plötzlich doch der Faden reißt, es wird Remis! Langsam beginne ich zu glauben, was Reyk mal über den behaderten Umstand nachgelassener Wertungszahlen gemeint hat, dass es nämlich die nicht zu unterschätzende Chance bietet, schlichtweg unterschätzt zu werden. Nach dem Wegparken von stolzen einhundert Punkten innerhalb weniger Monate scheint meine Stunde von nun an vielleicht gekommen.
Zur milden Mitternacht dieses denkwürdigen Tages schlendere ich durch die Straßen des Viertels, aromatisiert vom süßlichen Duft der zahlreichen Shisha-Bars - einmal Plärrer und zurück.
Nach dem üblicherweise viel zu kurz geratenen Frühstück sitze ich erneut einem IM gegenüber, diesmal Maximilian Meinhardt aus Viernheim. Ihm gelingt die Jagd auf meinen zentralisierten Franzosenkönig ebensowenig wie mir der Angriff auf seinen stabilen Königsflügel, erneut Remis! Was ist denn los, warum klappt das auf einmal so einfach? Die Fieberkurven des Spielniveaus sind fürwahr höchst sonderbar.
Am Nachmittag sitzen sich zwei schwierige Nachnamen gegenüber, der meines ukrainischen Gegenübers vom co-gastgebenden Verein Noris Tarrasch ist schwieriger - ich bin erstmals geschlagen. Aus einem harmlosen Nichts heraus hatte ich im Übermut versucht, einen Königsangriff zu lancieren und dann mit nur noch geringer Zeit den Umschaltmoment verpasst.
Das Rahmenprogramm bietet heute einen interaktiven Live-Vortrag mit dem persönlich auftretenden Trainings-Duo Jussupov/Dvoretzki. Auch die Partien der deutschen Mannschaft bei der Olympiade in Istanbul werden übrigens live ins Foyer übertragen. Mich aber lockt der Ockerschein jenseits der Verglasung.
Am Abend entere ich endlich die Nürnberger Altstadt, die damals leider viel zu kurz gekommen war. Auf den Gassen, Plätzen und Straßen dehnt sich ein beachtlicher Flohmarkt, weit über den eigentlichen Trödelmarkt hinaus.
Nach dem üblicherweise viel zu kurz geratenen Frühstück sitze ich erneut einem Spieler von Noris Tarrasch gegenüber. Diesmal vergaloppiert sich sein Springer im Königsangriff, wir nennen das sich daran anschließende Endspiel nach der gemeinsamen Analyse ‚inhaltsreich'. Es endete mit Remis.
Die zweite Runde des zweiten Doppelrundentages beschert mir erstmals einen Jugendlichen, mit dem Normi vor zwei Jahren und Willi vor zwei Runden an gleicher Stelle Bekanntschaft gemacht haben. Es wird eine Kurzpartie wie aus dem allseits bekannten 1x1-Lehrbuch "Angreifen und gewinnen ohne Gegenwehr".
Höchst zufrieden mit dem bisherigen Turnierverlauf gehe ich die Abendsonne rund um die Pegnitz zwischen Heubrücke und Kettensteg jagen, gönne mir noch das Mittelalterfest im Burggraben sowie einen Michelin-Kroaten am beschaulichen Unschlittplatz. Doch die übrige Nacht ist kurz und unruhig. Und es sollte ein rabenschwarzer Sonntag werden. Noch aber ziert nach den absolvierten fünf Runden eine +300er-Performance den Zahlenhimmel. Das wäre doch nach diesen Jahren des Niedergangs ein gehöriges Ausrufezeichen.
Nach dem gar nicht so unüblicherweise komplett ausgefallen Frühstück ..., nein, unüblicherweise liegt es nicht an mir, sondern die letzte Morgenrunde wurde um eine halbe Stunde auf 8.30 Uhr vorgezogen und gleichzeitig das Frühstücksintervall des Hotels sonntags um eine Stunde nach hinten verschoben mit dem verblüffenden Ergebnis, dass die Frühstückszeit zu einer echten Teilmenge der üblichen Rundendauer geriet, ich also zur Abfahrt sogar noch vor dem Buffet in diesem so anmutigen Zimmer herumirre und mich schließlich dem Bananenvorrat zuwenden muss.
Ich habe wieder Schwarz, wie zu jeder geraden Runde, und ich erhalte das gnädige Geschenk aller Eröffnungstraumoptionen, die man sich als Black-Is-Okay nur wünschen kann! Auf dem Silbertablett wird mir somit schon vorab tatsächlich der so unverhoffte Turniererfolg präsentiert, fantastisch! Doch, ich mache daraus ... nichts, rein gar nichts! Erst lasse ich alle sich bietenden Optionen auf bequemes Spiel ungenutzt verstreichen und verliere dann jeglichen Überblick und die Partie.
Wenn der Wurm erst drin steckt, dann folgt die Schlussrunde gleich hinterher: Ich kriege wieder Schwarz und wieder gegen einen nominell Stärkeren. Diesmal leiste ich Widerstand, aber gegen Ende ist die Energie aufgebraucht, der Akku leer. So geht sie dahin einstweilen, die Blitzrückkehr in das angestammte Hunderterintervall. Und trotz einer immer noch etwa +200er-Performance will sich eine rundherum runde Zufriedenheit mit dem Turnierergebnis nicht mehr einstellen. Zu ärgerlich ist die verpasste Chance. Dabei sollte es doch eigentlich nur eine Praxisübung werden. Und wie lange schon war überhaupt ein positives Resultat ausgeblieben? Immerhin, ein Abstecher nach Erlangen malt den Sonntag wieder bunt und das leuchtende Firmament über der A3 tut ihr Übriges. Und eingetragen in die Liste der Voranmelder für die zehnte Auflage im nächsten Jahr habe ich mich ausnahmsweise auch schon. Man darf gespannt sein, ob eine so weit reichende Planung zur Realität zu werden vermag.
Ach so, gewonnen wurde das Turnier vom russischen GM Evgeny Romanov, in Deutschland für die Schachfreunde Katernberg in Essen aktiv. Das und vieles mehr, wie Fotos und Stimmen, gibt es nebst weiterer Links auf der Seite des Veranstalters. Da dieses Rad also nicht nochmal erfunden werden muss, kann ich hiermit einfach schließen.
Mikly