Championnat de Paris 2025
Nach dem – in jeder Hinsicht – erfolgreichen Turnier in Karlsruhe, entstand schnell die Idee die ganze Sache zu wiederholen. Fündig wurden Gedeon, Bennet, Alex und ich in der Hauptstadt unseres französischen Nachbars, Paris. 9 Runden in vier verschiedenen Turnieren (Masters, A-, B- und C-Open), Unterkunft in einer Ferienwohnung. Herz, was willst du mehr?
Die Anreise per Flixbus von Halle via Hannover nach Paris verlief ohne Komplikationen, so dass wir überpünktlich am Ziel eintrafen. Nach einem typisch französischen Frühstück (Croissant und Kaffee) machten wir uns zum Spiellokal, um uns zu registrieren. Dort angekommen, wurden wir mit einer unangenehmen Realität konfrontiert: Die Fassade (in dem Fall das Spiellokal) machte viel her. Gespielt wurde in einer Halle, die letztes Jahr Wettkämpfe der Olympischen Spiele beherbergte. Wenn man allerdings hinter das Äußere blickte, stieß man auf Folgendes: Gartenstühle aus Plastik? Papiertischdecken? Jahrealtes Spielmaterial? Keine Klimaanlage oder Lüfter bei über 30°C und ca. 800 Teilnehmern? Sanitäre Anlagen, wo mal wieder feucht durchgewischt werden sollte? Herz, was willst du mehr?
Nichtsdestotrotz wollten wir (Gedeon, Alex und Bennet im Masters, ich im A-Open) die Jagd nach Punkten oder nach Normen angehen. Die Setzliste des Masters wurde von Hou Yifan angeführt (ob die über die Bedingungen informiert war?), allerdings tummelten sich viele aufstrebende Inder und Franzosen in dem Turnier (auch im A-Open). Ein weiterer, merkwürdiger Aspekt war, dass wir kaum Partien von unseren Gegnern fanden. Wie kann ein Spieler der ca. 2100 Elo, oder mehr hat, nur 10 Blitzpartien in der Mega-Datenbank haben? Zudem machten wir schnell die Erfahrung, dass viele Gegner massiv unterbewertet waren (vor allem natürlich die Inder) Herz, was willst du mehr?
Die erste Runde lief schon nicht gut an: Ich verpasste mehrere gute bis gewinnträchtige Fortsetzungen und musste mich mit Remis begnügen. Alex und Bennet erwischten sogleich zwei indische Nachwuchsspieler und mussten vielleicht auch den Strapazen der Anreise Tribut zollen. Einzig Gedeon strich verdutzt den ganzen Punkt ein, nachdem sein Gegner Remis durch Zugwiederholung ausgeschlagen hatte.
In Runde zwei ging ich in der Eröffnung an einer guten Möglichkeit vorbei, patzte und musste gegen Läuferpaar und Mehrbauer spielen. Der Laden hielt glücklicherweise zusammen; Remis. Alex hatte eine wilde Katalanisch-Partie, wo es hin und her ging. Mit 2 Minuten nahm er verständlicherweise - es gab lediglich 30 Sekunden pro Zug, ewige Zeitnot drohte - das Remis durch Dauerschach. Bennet überspielte seinen Widerpart im Maroczy. Gedeon spielte gegen einen IM mit knapp 2500 und hielt die Partie lange in der Waage. In Zeitnot kippte es dann leider.
Runde drei brachte, zumindest bei mir, keine Besserung. Nach einem Bauernopfer wieder mehrere gute Möglichkeiten verpasst, dann im Turmendspiel mit Minusbauern ewig gelitten. Hätte Bennet mir keine Wasserflasche gegeben, hätte ich die remise Stellung sicher noch vergeigt. Dieser konnte gegen einen Inder souverän gewinnen, Alex musste gegen Bennets Gegnerin aus Runde 1 antreten. Leider konnte er Bennet nicht rächen und verlor. Gedeon mit einer wilden Partie, die nach eher ungünstiger Stellung aus der Eröffnung in Zeitnot hin und her schwankte. Einige studienartige Gewinne waren für beide Seiten möglich, wurden aber zeitnotbedingt ausgelassen. Am Ende remis.
In Runde vier begnügte ich mich gegen einen serbischen IM schnell mit Remis, das Turnier und die Bedingungen forderten massiv Körner. Bennet opferte etwas zu optimistisch eine Figur und kam nicht entscheidend an den gegnerischen Monarchen ran. Gedeons Widerpart hatte vielleicht bei Bennet abgeschaut und flackte ebenfalls eine Figur rein. Auch er kam nicht durch. Alex kam zu seinem ersten Sieg, hier habe ich keine Erinnerungen.
Nach der 5. Runde überlegte ich ernsthaft das Turnier zu beenden, auch wenn ich endlich meine erste Partie gewann. Die Eröffnung überstand ich mal wieder mehr schlecht als recht, allerdings war mein Gegner im Mittelspiel etwas zu optimistisch, so dass ich im Zentrum durchbrechen konnte und ordentlich Königsangriff bekam. Eine Figur konnte einfach kassiert werden, ich sah aber Gespenster und verschmähte diese. Vorteil war weiter vorhanden, meine Nerven lagen aber blank und Zeit war ein rares Gut. Mein Gegner blunderte dann ein Matt in 1. Darüber dachte ich aber ca. 30 Sekunden nach, weil ich mir beim besten Willen nicht sicher war, ob es Matt ist. Gedeon stand daneben und fieberte die ganzen 30 Sekunden bis zum erlösenden Matt mit. Herz, was willst du mehr? Der siegte nach recht solider Partie, Bennet und Alex remisierten.
Wenigstens konnten wir uns am nächsten Tag die Stadt anschauen, von nun an standen nur noch Einzelrunden an, die (bis auf die letzte) erst 18:30 Uhr begannen. Für uns natürlich mehr als ungewohnt.
Nach Eiffelturm, Champs-Élysées, Arc de Triomphe und einem schicken botanischen Garten ging es wieder an die Bretter. Mein Gegner spuckte in der Eröffnung einen Bauern, wenig später sackte ich einen weiteren ein und sah mich bereits auf der Siegerstraße. Allerdings hatte ich den weißen Angriff unterschätzt und musste mehrere Klimmzüge machen, um nicht Matt zu werden. Im Damenendspiel mit Freibauern übersah mein jugendlicher Widerpart glücklicherweise einen Dauerschachmechanismus.
Alex spielte eine sehr gute Partie und hatte den französischen IM am Haken. Der fiel aber nicht über die Planke; Remis. Gedeon kam gegen 2400er-Gegnerschaft gut aus der Eröffnung, übersah dann aber eine kleine Kombi, wobei entscheidend Material über Bord ging. Zu Bennets Remis kann ich leider nix beitragen.
Runde 7: Nach einmal Ausschlafen, französischen Spezialitäten (Baguette mit verschiedenem Belag) ging es voller Energie und Motivation an die Kontrahenten. Ich spielte zur Abwechslung mal solide und konnte schnell in ein günstiges Endspiel überleiten. Das reichte dann zu Sieg Nummer zwei. Gedeon und Bennet gewannen ebenfalls, Alex holte Remis gegen einen 11-jährigen hibbeligen Youngster und hatte nervlich einige unschöne Momente zu überstehen. 3,5/4! Herz, was willst du mehr?
Natürlich wollten wir das in Runde 8 wiederholen. Vorher zog es uns zum Louvre, in den Jardin du Luxembourg und zu Roland Garros, dem Austragungsort der French Open, wobei wir dort lediglich Erfahrungen im Fanshop sammeln durften. Davon vielleicht ein wenig ausgelaugt, verlor ich sang- und klanglos. Nach guter Eröffnung traf ich zwei schreckliche Entscheidungen wonach ein trauriges Endspiel mit Minusqualle entstand. Da gab’s auch keine Tricks mehr. Gedeon musste die Überlegenheit des GM’s anerkennen, Bennet mit solidem Remis gegen einen 2400er-IM. Alex holte den einzigen Sieg der Runde, an die Partie kann ich mich aber nicht erinnern.
Freitag früh dann die 9. und letzte Runde. Uns war die schachliche Lust und Motivation vergangen, es ging um nix mehr und die lange Rückreise stand noch an. Dennoch kämpften wir die Partien aus. Ich hätte mich über die nächste Niederlage alles andere als beschweren dürfen: Ausgangs der Eröffnung eine Abwicklung falsch eingeschätzt (2 Leichtfiguren gegen Turm+Bauer sah besser aus als, es war), dann aus Verzweiflung einen Königsangriff initiiert, wieder schlecht in ein Dame-gegen-2-Türme-Endspiel übergeleitet, ewig auf Matt gestanden und mit viel Glück Dauerschach gegeben. Insgesamt 5/9 und nicht einen stärkeren Gegner gehabt, ca. -25 Elo. Herz, was willst du mehr?
Alex kam in der Eröffnung unter die Räder, Gedeon kann leider eine Gewinnstellung in Zeitnot nicht verwerten, Bennet schob sich mit einem schicken Sieg sogar noch an Hou Yifan vorbei.
Am Nachmittag besuchten wir eine Bar, die, laut Beschreibung, ausschließlich dem Blitzschach diente. Dort ermittelten wir in einem Blitz- und Freestyleturnier den wahren Pariser Meister, Bennet verteidigte dabei seinen Titel aus Karlsruhe. Etwas irritiert waren wir über die Getränkepreise: 8,50 € für eine 0,33 Liter Cola!? 14 € für einen alkoholfreien Mojito? Herz, was willst du mehr?
Über Nacht dann die Rückreise mit dem Bus nach Heidelberg, dann weiter per Flixtrain nach Erfurt bzw. Halle. Ich hätte es vielleicht nicht beschreien sollen, der Zug hatte knapp eine Stunde Verspätung. Aber alles halb so wild.
Zwischen den Runden und am Abend frönten wir vor allem dem Doppelkopf. Die ewige Liste konnte Gedeon für sich entscheiden (wobei Kritiker behaupten würden, er habe viele Omas auf die Hand bekommen oder bei starken gegnerischen Blättern häufig schmeißen dürfen), Alex knabberte lange an einem ihm aufgezwungenen Trumpfsolo (wir ließen ihn bei einer Hochzeit ins Messer laufen) und bekam zwei Abende gar nix. Bennet spielte sehr konservativ und hielt sich mit Ansagen vornehm zurück (wir hörten selbst mit Alte, zwei Dullen und starkem Beiblatt kein U9!). Dies brachte ihm den Spitznamen "Gambelnet" ein. Ich war froh, mit zwischenzeitlich -30 nicht Letzter zu werden und Alex eine Dulle und damit einen Kasten aus dem Kreuz zu leiern.
Eine Woche Paris liegt hinter uns, insgesamt 36 Partien haben wir gespielt. Es war, trotz der suboptimalen Bedingungen, ein super Erlebnis und soll/muss unbedingt wiederholt werden. Erste Pläne wurden bereits geschmiedet. Herz, was willst du mehr?
Böhmi
Sprüche:Auf Gedeons ungläubige Frage, warum ich so lange für das Matt in 1 gebraucht habe: „Ich war kurz davor, den Schiedsrichter zu fragen, ob Db8 wirklich Matt ist! Das Recht habe ich wohl doch!“ (Mein Gehirn war in der 5. Runde komplett Matsch, so dass ich zu radikalen Maßnahmen bereit gewesen wäre. Allein die Reaktion des Schiris wäre es vielleicht wert gewesen)
"Was nun, sprach Zeus zum Huhn?" (Alex stellte diese Frage öfter, wenn er beim Doppelkopf ausspielen musste. Vielleicht weiß einer der Leser die Antwort auf diese Frage? Wir konnten auch nicht klären, ob zuerst die Henne oder das Ei für die Fragen des griechischen Göttervaters da war.)
"Es hat geklingelt". "Das ist bestimmt Hou Yifan, mit der habe ich eine Verabredung." (Wer das gesagt hat, wird nicht verraten.)
"Alter stehe ich gut!" "Du bist Matt in zwei!" (Bennet holt Gedeon beim Blitz unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück.)
"Deux carafes d'eau s'il vous plaît" ("Zwei Karaffen Wasser bitte") – unser neuer Lieblingssatz, seit wir gelernt haben, dass 0,33-Cola in Pariser Restaurants 6,50 € kostet und Leitungswasser (kostenlos) das wahre Luxusgetränk ist.
Die Kellnerin im Restaurant fragt uns neugierig, wer beim Doppelkopf gewonnen hat – Bennet: "Gedeon, avec de la chance." ("Gedeon, mit Glück") Gedeon fragt: "Und wie sagt man auf Französisch: mit Können?"
"Das war wohl meine letzte schachliche Erfahrung in Frankreich." – Alex beim Telefonat nach Hause, nachdem er bereits an Tag eins weniger von den Zügen auf dem Brett als von den Zuständen auf der Spielsaal-Toilette schockiert war.