D in B
Wenn sich Delegationen aus acht Ländern auf den Weg nach Berlin machen, dann darf ein Wirtschaftsgipfel vermutet werden mit weiträumigen Absperrungen, einer respektablen Polizeipräsenz und Informationen auf den Titelseiten der führenden Medien. Nicht so an diesem ersten Septemberwochenende. Zwar gedieh eine Wirtschaft zum Tagungsraum, doch der Anlass diente nicht dem Gefeilsche um materielle Vorteile, sondern mittels sportlichen Wettbewerbs auf 10 mal 64 Feldern der Auffrischung einer langjährigen Freundschaft zweier Schachvereine. Auch das dafür anberaumte Aufgebot der Kapitale wirkte deutlich heiterer, hatte sich doch die Wetterdelegation, das Hoch "Klaus", auf seinem Weg von Böhmen ins Baltikum in Berlin eine Extraschicht gegönnt. Dafür blieben die Paparazzi gänzlich unbemerkt, sieht man zurecht mal vom unbeugsamen Homepagemann ab.
Natürlich gerieten die Anreisen wieder zu einer echten Sternfahrt, welche einen Tag vorab aus dem Süden bereits die schlagkräftige Zörbig-Leipziger Verbindung heranspülte. Anderntags machten sich zunächst etwa zeitgleich die lettische von Nordost und diametral gegenüber aus dem Westen die Kölner Fraktion auf den Weg. Letztere war diesmal recht bunt besetzt mit einem marokkanischen Studenten auf dem Weg zur FH Köthen, der nach längerem Schlaf schlussendlich noch das sichtliche und seltene Vergnügen hatte einen Deutschen mit Kenntnissen der arabischen Sprache getroffen zu haben, einem Architekten, der uns hinter Magdeburg mit wirklich unglaublichen futuristischen Entwürfen zu
beeindrucken vermochte und einem Filmkritiker mit dem sich natürlich trefflich fachsimpeln ließ, so
dass der größte Teil der insgesamt acht Stunden angenehm kurzweilig verlief. Zwischendurch jedoch ereilte mich der kritische Blick einer ungeduldigen Dana am Flughafen, hatte ich mir doch glatt erlaubt acht Minuten nach der geplanten Landezeit aufzuschlagen .. ;-)
Derweil hatten die Großhansdorfer mit Andreas, Ammar, Dirk, Earnie, Meister Enno und Joachim aus dem nördlicheren Westen bereits den sonnenuntergänglichen Prenzlauer Berg beschlagnahmt und so fehlte nur noch aus dem westlichen Süden und bibelverlustigen Weimar Riker, dem so auf jeden Fall die Einbuchtung nach Alcatraz erspart blieb.
Nach den Quartiernahmen, jedweder Begrüßung und dem obligatorischen ersten Umtrunk stellten sich alsbald erste Anzeichen körpermittiger Leeren ein und wie vorab ausgekundschaftet empfing die nahegelegene "Kulturbrauerei" unseren Besuch, sollte sie doch mit ihrer Vielfalt jedem Geschmack ein Refugium bieten. Allerdings wohl nicht an diesem Abend, als sie für den Zugang zum gesamten Komplex Eintritt verlangte und diesen durch eine äußerst lautstarke Innenhofdarbietung nicht unbedingt "erstrebenswertete". So wurde die Partybank eines Kubaners unsere zwischenzeitliche kulinarische Heimstatt. Und ähnlich zum umgehenden "Murder Mystery Diner" wurde alsbald klar, dass wir mit diesem Abendessen in einen höchst brisanten Kriminalfall verwickelt
würden. Nein, nicht "Reykini oder die mörderische Frage wer mit wem duschte", sondern ein besonders schwerwiegender Raub harrte seiner Aufklärung. Zur Verhandlung kam das Verschwinden eines erbstückgleich kostbaren Oberteiles und als darstellende Protagonisten zur Aufführung: die durchaus vollständig bekleidete Bek Ki als beschuldigende Anklägerin, der redegewandte Russisch-Experte Hopa Mann als vehement alles bestreitender Angeklagter, Star-Anwalt Öhr Nie als trocken kommentierender Verteidiger, Nana Reiz-Nie als unreizbare Richterin sowie Nie Glüh als unter der Dusche gestanden habender und somit völlig unbrauchbarer Zeuge. Als Amtssprache wurde einvernehmlich die von den Vereint-Königlichen auserkoren und die Sitzordnung sorgfältig bedacht um einen ordnungsgemäßen Verhandlungsverlauf zu gewährleisten.
Fragen und Fakten wurden kurz vor der Verhalbjährungsfrist dank pointierter Fangfragen der unermüdlich für die Gerechtigkeit wirkenden Richterin schnell ans nächtliche Laternenlicht befördert und in folgende Kernspalten endlagert:
Nie Glüh konnte den Vorgang nicht beobachten, weil er duschte.
Offen blieb, ob allein oder nicht und wenn nicht, mit wem denn dann.
Das Toast toastete. Offen blieb, wer das Toast toastete und ob dieser Vorgang inzwischen beendet ist.
Nach eingehender Beratung der Plädoyers zu dieser Aktenlage erging das Urteil im Namen der Völker entscheidungsfrei an die Tränke des Freiraums.
Vollauf gesättigt wurde das Schachcafé "En passant" dann zum erneuten Anlaufpunkt und unweigerlich kamen die ersten Blitzrunden zum Einsatz, während andere flüssig im Gespräch verdauten oder mit der Burger Abordnung zweihändelten. Zwischendurch gab eine müde lettische Großmeisterin ihrer Fangemeinde noch lettischen Wodka zur Verkostung, doch nach dem finalen Davis-Cup zwischen Riker, einem Berliner und Ammar plus Mikly war dann spätfrüher Schluss.
Nach kurzem Schlaf und reichlich vor dem Aufwachen ging es natürlich wieder ins … richtig! "En passant" zum gemeinsamen Frühstück. "High Noon" mittags waren alle gestärkt zum Geisterkampfe. Alle? Na ja, Andreas Mitscherling nahm als Letzter noch die Frühstückszielgerade, die Simon nebst Sohn mit ihrem vitalen Erscheinen sicher längst verdauten, nachdem Uwe seinen Tross mit Anne, Chevalier, Heinz und Kevin zielsicher an die runden Tische gelandet hatte. Aber das letzte Großhansdorfer Auto mit Björn, Storbi und Wolfgang war zwar schon daheim verfrühstückt, blieb dafür aber auf dem Berliner Ring stecken. Kurzerhand wurde die Gesamtbedenkzeit um eine Stunde auf derer fünf verkürzt. Bevor im hinterwärtigen Schachzimmer die Partien dann endgültig ihren Anpfiff empfingen, erwies sich Anne zur Auslosung der Farben noch als echte Glücksfee, indem sie uns ein günstiges "Auswärtsspiel" zumünzte und es konnte natürlich nicht beginnen ohne via launiger Präsidialrede eine besondere Ehrung vorzunehmen, deren Opfer indes in der allgemeinen Kampfbereitschaft keine gehörigen Worte mehr fand und nur mehr als willfähriges Fotoobjekt verblieb.
Das Match ward eröffnet. Sechs Oberliga- plus zwei Stadtliga-Großhansdorfer plus dem langjährigen Ahrensburger Mitstreiter Storbi und dem Braunschweiger Björn gegen fünf Löberitzer Oberligisten, vier Landesklassespieler plus unserem Hallenser Ehrenmitglied Heinz. Nun, es sah bald böse aus für die Staffel Ost. Ritter Rolandus hatte sich von Joachim die holde Weiblichkeit arrestieren lassen und musste ihr den Laufpass geben. 0-1 und zwei deutlich unternominelle letzte Bretter .. das veranlasste Meister Enno schon zur allerdings scherzhaften Frage, mit was für einer "Trümmertruppe" wir denn hier wären. Sollte ein Desaster dem "Kampf auf Augenhöhe" resultieren? Nun, alle anderen Stellungen gediehen allesamt sehr interessant. Konrads Remis gegen Ammar folgte das von Heinz gegen Björn und alsbald auch das von Brain gegen Wolfgang sowie Riker's gegen Dirk, ehe Chevalier gegen den klar favorisierten Doktor und Schachsammler zuschlug und Andreas' wenig zielführende
Aufstellung entlarvte. Generös offerierte er Löberitz später einen kleinen Teil seiner Sammlung. Dann war es an Mikly nach kleineren Ungenauigkeiten in Earnies Mittelspiel, den Führungstreffer herauszuschießen. Doch freistehend vor dem leeren Tor genügte eine halbe unaufmerksame Sekunde um zum Dauerschach das Netz zu verfehlen. So blieb es Simon vorbehalten einen Magic Mystery Thriller zu inszenieren, der sich laut geduschter Zeugenaussagen etwa so abspielte: Noch 11 Züge bis zur Zeitkontrolle - Meister Enno mit 12 Minuten und schwieriger Stellung, Simon mit 12 Sekunden(!) und .. er schaffte die Zeitnot und gewann auch mit Hilfe eines Übersehers von Enno noch vor der Zeitkontrolle!
Derweil hatte sich Dana gegen Andreas M. (ups - reicht nicht, also: FM Mitscherling) einen Mehrbauern erobert und brachte den auch sicher über die Linie. Und Bekka? Gegen den hochfavorisierten Storbi gehörte ihr eine ganze Figur mehr, was sich auch angesichts des Gesamtstandes als lockere Remisvariante entpuppte. 6:4! Ein durchaus gehaltvoller Kampf gebar ein etwas überraschendes Ergebnis.
Wenn die Theorie von den Generalproben stimmt, dann müssen wir uns für die kommende Oberligasaison ganz warm anziehen während Großhansdorf ihr recht gelassen entgegensehen darf ..
Hernach wurde es hektisch bis chaotisch - für die Abendunternehmungen hatten sich drei Fraktionen gebildet, doch bevor sich vor allem die Löberitzer inklusive Andreas Möck noch abgestimmt hatten waren die Großhansdorfer mit Chevalier auch angesichts eines festen, von Meister Enno inszenierten Termins beim Kabarett bereits hinfortgeeilt. So war das Missverständnis seitens Dana und Mikly bzgl. Kabarett (= politische Satire oder revueartiges Entertainment?) nicht mehr aufzulösen, womit sich dann die Essengeher von den Museasten lösten. Das Joint Venture zwischen einer bekannten deutschen Bank und Solomon P. Guggenheim lockte (was heißt noch auf englisch "verführen"? ;-) ) vor allem Dana, aber auch Anne, Bekka, Brain und Mikly in das gleichnamige Museum unter den Linden. Die Metro-Gruppenkarte bescherte uns noch einige Suche vom Alexanderplatz aus, aber schließlich fanden wir die interessante Ausstellung mit Werken des legendären Fotografen Mapplethorpe im Stile des Manierismus.
Nach Freiluftdiner unter Linden und der Wiederkehr im .. richtig! "En passant" waren die Essengeher bereits zurück und die ersten Verabschiedungen standen an. Dennoch war es dann mal ein Stuhl zu wenig, den sich Mikly kurzerhand nachbars auszuleihen gedachte, die gebeugten Hauptes offenbar Berliner Kartographie studierten, jedoch aufblickten zum Lauschen der Danksagung und .. from dusk till dawn .. schlagartig dämmerte ihm, wer der kartographische Hirte dieser wissbegierigen Gemeinde war .. Matthias Wahls. Vor just einer Woche noch in Köln verpasst zum zweiten Male eines seiner Seminare zu besuchen, gab dieser nun eben eines in Berlin! Nun ja, auch unser versprengter Rest ging nicht viel später dann zum gemächlichen Blitzen über. Sven als Betreiber des "En passant" kam hinzu und bespielte Dana, um nachher nie wieder in seinem Leben sagen zu dürfen, er habe noch nie gegen eine Frau eine Partie verloren. Und noch ein bisschen später gesellte sich Matthias zu uns um ohne langes Zögern die schachlichen Niederungen aufzusuchen und Zuschauertrauben anzulocken, vor allem dann, als Dana den tapferen Brain(i) erlöste. Und, dank bereits zweier Biere des launig parlierenden Matthias ;-) schaffte Dana es die sieben Ergebnisse ausgeglichen und die Stellungen überwiegend besser zu gestalten. Just als die Helden in ihre Federn geschlichen waren, trudelten die Kabarettisten ein und so erhielt Matthias zum Gefallen neben Zugzwang gar noch Hamburger Attribute und unverhohlen staunenswerte Eindrücke von Joachim's Kartenkünsten, den er wiederum revancheartig mit seinem phänomenalem Gedächtnis verblüffte, als er ihm Stellungsmerkmale einer vor bald zwanzig Jahren zwischen den beiden gespielten Partie wiedergab! Flugs wurde geschäftstüchtig noch ein Seminar für Großhansdorf unter Dach und Fach gebracht.
Es ist Sonntag. Sonntag früh. Sehr früh. Mikly ist der letzte Gast im "Freiraum".
Es ist Sonntag. Sonntag früh. Sehr früh. Jedenfalls vor Aufwachen und erst recht vor Frühstück. Dennoch meldet sich gnadenlos der Handywecker. Und zu allem Überfluss auch noch die abfahrbereite Dana!! Jetzt gilt es alle Hoffnungen fahren zu lassen. Auf auf und abgefahren. Die Sorge niemanden im Freiraum anzutreffen, dem wir die Schlüssel hinterlassen könnten, erweist sich als unbegründet. Freundlich lächelnd werden wir in die Sonne und hin zum Avus verabschiedet. Es geht nach Dessau. Improvisiertes Frühstück im Auto. Treffen am Ortseingang auf die wartenden Konrad, Bekka und Brain. Dana hat "U-Turn" entdeckt. Die Bürger der Stadt Dessau werden Sonntag früh durch "La Mujer Que Amas" in ihrer andächtigen Ruhe gestört. Das dringend tatverdächtige Fahrzeug trägt ein Kölner Kennzeichen.
Die Sonne brennt in bester "U-Turn"-Manier herab, als wackere Norweger gegen mutige Griechen in jeweils gut einem Meter Augenhöhe gegeneinander Fußball zelebrieren - das Publikum geht begeistert mit. Nebenan findet (warum eigentlich nicht draußen?) ein Mannschaftsblitzschachturnier statt. Fahrbereitschaft Mikly bekommt davon nicht allzu viel mit. Das Turnier endet mit dem Sieg der eindeutig unter lettischem Einfluss stehenden ersten Löberitzer Vertretung, der außer Dana noch Harald, Brain und Normi erfolgreichst angehören. Fußball und Schach in Dessau sind Sonntag früh zu Ende. Während weitgehend alle ihre heimatlichen Gefilde aufsuchen, machen sich Dana und Mikly zurück
zur Zwischenstation Berlin. Sternumringt holen sie ihr Frühstück per Brunch im "Keno" nach. Sie passen auch ohne Stern gut in dieses Lokal, denn es ist sehr international besucht. Dana vermag etlichen russischen Gesprächen zu lauschen. In Tegel wechseln sie teilweise das Gefährt. Sie werden beide von dort aus exakt gleich lange bis zum Öffnen ihrer jeweiligen Haustüren benötigen.
Auf der A2 senkt sich kurz hinter Eilsleben die Fahrbahn zu einer Niederung herab. Die Fahrt scheint einem gigantischen Sonnenuntergang entgegen zu streben, der surrealistisch wird als Landfahrzeuge einen Teppich aus Getreidestaub weben.
Wie sagte Ernst-Helmuth Varain vor dem Abschied? Das sollten wir von nun an jedes Jahr machen - einen Freundschaftskampf in einer attraktiven Stadt irgendwo dazwischen! Gerne! Mir fällt dazu spontan erstmal .. Berlin ein. Aber auch Schwerin, Wernigerode oder .. Havelberg .. ;-) Ob aus Absichten auch Wirklichkeiten werden bleibt im vorhinein stets so unbekannt, wie die tatsächliche Anzahl der Mitwirkenden in Berlin es bis zum Anpfiff war. Aber wenn eine angenehme Erinnerung bleibt, schmälert das die Wahrscheinlichkeit nicht. Möge die "Vorbereitung" beiden Vereinen in der neuen Oberliga-Saison gedeihlich sein! From dawn till dusk.
Mikly
SV Großhansdorf | SG 1871 Löberitz | |||||
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1 | IM Enno Heyken | : | Simon Spreng | 0-1 | ||
2 | FM Andreas Mitscherling | : | WGM Dana Reizniece | 0-1 | ||
3 | Wolfgang Labahn | : | Martin "Brain" Schuster | remis | ||
4 | Björn Bente | : | IM Heinz Liebert | remis | ||
5 | Dirk Grote | : | Reyk "Riker" Schäfer | remis | ||
6 | Ernst-Helmuth Varain | : | Michael Klyszcz | remis | ||
7 | Joachim Felten | : | Roland Franke | 1-0 | ||
8 | Ammar Abrougui | : | Konrad Reiß | remis | ||
9 | Andreas Möck | : | Thomas "Chevalier" Richter | 0-1 | ||
10 | Dirk Storbeck | : | Rebekka Reiß | remis | ||
4:6 |