Hintergrund

Amateuermeisterschaft Magdeburg, letzte Runde/B

Als Jürgen Kohlstädt seine Entscheidung mitteilte uns in der letzten Runde zu nullen, nannte er eine Bestimmung der Schachregeln als Begründung, versehen mit dem Hinweis auf die Fairness-Bemühungen des DSB.

Letzteres zunächst mal dahingestellt können zur Beurteilung des Vorgangs (beide Spieler anwesend, kein Zug ausgeführt, Ergebnis Remis vereinbart und gemeldet) nur solche Bestimmungen eine Rolle spielen, die mit Beginn und Ende einer Partie und dem Wesen einer Partie zu tun haben.

Um welchen Artikel der Regeln könnte es sich also handeln, der eine solche Entscheidung rechtfertigt und auf den Jürgen Kohlstädt sich u. a. beruft?

Hinweise darauf liefern folgende Auszüge:

1.1 Das Schachspiel wird zwischen zwei Gegnern gespielt, die abwechselnd ihre Figuren auf einem quadratischen Spielbrett, "Schachbrett" genannt, ziehen. Der Spieler mit den weißen Figuren beginnt die Partie. Ein Spieler "ist am Zug", sobald der Zug seines Gegners ausgeführt worden ist.

Hier wird eindeutig das Ziehen der Figuren als wesentliches Element einer Partie genannt. Und, nur der Spieler mit den weißen Steinen kann die Partie beginnen!

1.2 Das Ziel eines jeden Spielers ist es, den gegnerischen König so "anzugreifen", dass der Gegner keinen regelgemäßen Zug zur Verfügung hat, der ein "Schlagen" des Königs im folgenden Zug vermeiden würde ...

Jeder Spieler wird hier sofort einwenden, dass er selbst durchaus schon bei mancher Partie ein ganz anderes Ziel hatte - nämlich nicht zu verlieren oder gar nur eine bestimmte Anzahl Züge zu schaffen, je nachdem wie übermächtig der Gegner erschien. Wie auch immer wird hier die eigentliche Triebfeder einer sinnvollen Partie genannt und verallgemeinert. Diese Intention tritt dann wieder an anderer Stelle (10.2a interessant: Falls .. der Gegner keine Anstrengungen unternehme, die Partie mit normalen Mitteln zu gewinnen, .. erklärt er die Partie für remis.) hervor, wo andere Mittel ("Ausdrücken") zur Erreichung eines Resultates anerkannt werden.

Gehen wir etwas konkreter in die Details des Vorganges:

8.1 .. Beide Spieler müssen ein Remisangebot auf dem Partieformular aufzeichnen ...
1.Nach Ende der Partie unterzeichnen beide Spieler beide Partieformulare mit dem darauf notierten Partieresultat. Dieses Resultat bleibt gültig, auch wenn es falsch eingetragen worden ist, außer der Schiedsrichter entscheidet anders.

Die Durchführung dieser Bestimmungen findet real nicht wirklich statt, zumal die Notation des Angebotes vor allem den Spielern selbst dienen soll, um z.B. Störungen aufgrund häufiger Remisangebote belegen zu können.
Weiter ..

5. e) Die Partie ist remis durch eine von den beiden Spielern während der Partie getroffene Übereinkunft. Damit ist die Partie sofort beendet (siehe Artikel 9.1).

9.1 a) Ein Spieler, der remis anbieten möchte, tut dies, nachdem er einen Zug auf dem Schachbrett ausgeführt und bevor er seine Uhr angehalten und die seines Gegners in Gang gesetzt hat. Ein Remisangebot zu einer beliebigen anderen Zeit ist zwar gültig, aber Artikel 12.5 (Störung) muss berücksichtigt werden.
b) Das Remisangebot wird von jedem Spieler mit einem Symbol (=) auf dem Partieformular notiert.

Wir lernen über das korrekte Anbieten von Remis, aber auch dass nicht so korrekte Angebote gleichwohl gültig sind und bleiben. Interessanter ist jedoch in 5.e) die Einordnung "während der Partie"!
Daraus folgt also unweigerlich die Fragestellung, wann den eine Partie eigentlich nun wirklich begonnen hat! Denn die Beendigung unserer Partie haben wir durch die erzielte Übereinkunft und Meldung des Ergebnisses eindeutig hinbekommen. Fraglich ist nur, ob sie jemals begann!?
Ab wann gilt eine Partie als begonnen? Bei Mannschaftskämpfen gilt ein Spieler als eingesetzt aufgrund der reinen Namensnennung, egal ob er irgendwann erschienen ist oder nicht. Gibt es auch virtuelle Partien? Wie häufig finden wir Partien in den Datenbanken mit vollen Namensnennungen beider "Spieler" mit nur einem einzigen oder gar überhaupt keinem Zug! Müßig.
Mit dem gesunden Menschenverstand würde niemand ernsthaft eine Partie als stattgefunden erachten, die nur aus dem Zug 1.e4 e5 besteht. So gesehen gibt es keinen Unterschied zwischen unserer Handlung und der allgemein empfundenen Grenze zwischen Partie und Nicht-Partie.
Vielleicht entscheidend in dieser Frage: Es gibt noch einen weiteren Fall, in dem nicht ein einziger Zug ausgeführt und dennoch ein ganzer Punkt vergeben wird - nämlich wenn der Spieler mit den schwarzen Steinen anwesend ist aber der mit den weißen Steinen nicht vor Ablauf einer Stunde nach Ansetzung der Partie am Brett erscheint. Und, was wäre wenn der Spieler mit den weißen Steinen sich an das Brett säße und noch vor Ausführung eines einzigen Zuges erklärte er gebe die Partie auf? Würde dann auch Schwarz genullt werden? Wohl kaum! Jedenfalls nicht aus dieser reinen Sicht. Doch da gibt es noch die Moral von der Geschicht ..

Kommen wir daher nun zur Frage der Fairness und erlauben uns auch hier zunächst einen Blick in die Schachregeln, wo geschrieben steht:

12.1 Ein Schachspieler unternimmt nichts, was dem Ansehen des Schachspiels abträglich sein könnte.

In Ermangelung von Weigerung oder gar Wiederholung nicht in Betracht kommt hingegen

12.7 Andauernde Weigerung eines Spielers, sich an die Schachregeln zu halten, wird mit Partieverlust bestraft. Die vom Gegner erzielte Punktzahl wird vom Schiedsrichter bestimmt.

12.8 Wenn sich beide Spieler gemäß Artikel 12.7 schuldig machen, wird für beide das Spiel für verloren erklärt.

Bleibt also 12.1 und die Frage der Fairness. Oder - in der Turnierordnung des Schachbundes Rheinland-Pfalz heißt es unter XIII. Ahndung von TO-Verstößen auch

2. Bei vorliegenden triftigen Gründen (..., unsportliches Verhalten, ...) können Einzelspieler .. wie folgt bestraft werden:
- Verweis
- Verwarnung
- Verlusterklärung von Partien
...

Also, haben wir uns unsportlich und/oder unfair verhalten? Vielleicht dazu eine Begriffsklärung – In der Wikipedia-Enzyklopädie finden wir:

Fairness (auch Fairnis) geht als Begriff auf das englische Wort "fair" (eigentlich "schön") zurück. Fairness lässt sich im Deutschen mit Billigkeit, Angemessenheit gleichsetzen und drückt eine nicht gesetzlich geregelte Vorstellung von individueller Gerechtigkeit aus.
Große Bedeutung hat die Fairness im Sport, wo sie häufig für die bewußte Aufgabe formal bestehender Rechtspositionen aus individuellem Rechtsempfinden verwendet wird.

Schwieriger wird es schon mit dem Begriff der (Un-)Sportlichkeit, der sich einerseits vor allem mit der Ausübung von Sport verknüpft und im Zusammenhang mit Schach mit einem ganzen Sammelsurium von mehr oder weniger schwerwiegendem echtem oder vermeintlichen Fehlverhalten.
Worin könnte das hier bestanden haben? Da wäre zum einen der Umstand ein Partieergebnis zu melden ohne eine Partie gespielt zu haben. Wie oben festgestellt ist das ein sehr zweifelhafter Ansatz. Und bliebe die Wirkung unserer Handlung nur unter uns, so würde es selbstverständlich niemanden interessieren. Hier jedoch hat unsere Handlungsweise tatsächlich Auswirkungen auf andere Teilnehmer dieser Turniergruppe, da ein anderes Ergebnis als dieses Remis die Chancen auf eine Platzierungsverbesserung erhöht hätte! Platzierungsverbesserungen sind zudem i.d.R. im vorderen Platzierungsbereich mit dem Erhalt besserer Preise verbunden. Auch wenn die vergebenen Preise speziell dieser Turnierserie gemeinhin kaum als attraktiv gelten können, so mag dennoch vereinzelt ein Begehren geweckt sein. Der- oder diejenige würde sich dann möglicherweise um seine Chance auf Preisverbesserung betrogen sehen, hatte er doch auf einen anderen Ausgang gehofft. Nun, das ist natürlich höchst spekulativ, denn auch eine ausgespielte Partie hätte das Ergebnis Remis zeitigen können und da in solchen Konstellationen die zwei Protagonisten üblicherweise dasselbe zu denken gedenken, würde sich auch niemand ernstlich über 1.e4 e5 remis wundern. Zudem kommen solche Vorgänge gerade in letzten Runden eines Turniers recht häufig vor und zwar aus dem Motiv der Lustlosigkeit und / oder der jeweiligen akzeptablen Abwicklung des eigenen Ergebnisses. Bei gleichzeitigen Ängsten oder gegenseitig hohem Respekt oder guter Freundschaft finden sich ähnliche "Partien". Niemand kann einen Spieler zur Erbringung irgendeiner Art von Leistung zwingen! Und Ergebnissicherung ist äußerst verbreitet, akzeptiert und legitim. Sich durch die sportlich vorangegangene, wahrhaftige Leistung in die Situation gebracht zu haben, nicht mehr unbedingt leisten zu müssen um sein Ziel zu erreichen ist genau der Vorteil, der aus erfolgreich bestrittenem Wettkampf entstand. Gleichwohl ergeht ein Aufschrei, wenn in der Wirtschaft erfolgreiche Unternehmen aus ihrer Position der Stärke agieren, z.B. kleinere unliebsame Konkurrenten schlucken oder Kartelle bilden und ebenso wenn Schachspieler durch manipulierte Partieergebnisse (darunter verstehe ich den absichtlichen Verlust einer Partie aufgrund einer Absprache, welcher dem Verlierenden einen Teil vom dadurch vergrößerten Kuchen des künstlichen Gewinners verspricht) die ausgelobten Preisgelder zu Lasten anderer Spieler für sich zu mehren suchen.
Ergeht dieser Aufschrei trotz der "erarbeiteten" Position der Stärke zurecht? Verlangt und fördert unser Gesellschaftssystem nicht eigentlich exakt dieses Verhalten? Gilt nicht auch der "sportliche" Spruch: "Wer gewinnen will muss alle schlagen!", der doch vor allem bedeutet, dass derjenige Spieler/Sportler, der alle überragt durch seine sportliche Leistungskraft und vorne alles abräumen möchte, das eben vor allem durch die Ausübung seines Sportes erst beweisen und sich in eine entsprechende Situation hineinkämpfen muss. Und nur derjenige, der dazu in der Lage ist, wird nicht mehr auf andere und deren Verhalten angewiesen sein. Das scheint sport- und humanimmanent zu sein wie unzählige Ereignisse belegen.
Nichtsdestotrotz widerspricht das allgemeine Empfinden für Fairness, völlig unabhängig davon, dass viele virtuell befragte Personen mit einer idealisierten Einstellung exakt genau so handeln würden, kämen sie nur erst in die Situation, dieser offenkundigen Wahrheit im Raubtiergehege Mensch. Zwar ist Fakt, dass wir uns nicht viel dabei gedacht haben und wohl eher sogar überhaupt nicht gedacht haben, also auch keine Bewusstsein dafür entwickelten unrecht, unfair oder gar zum Schaden anderer zu agieren, doch richtig ist auch, dass es sich um eine DSB-Veranstaltung handelt und der Begriff Fairness zuletzt recht häufig hierzulande von Organisationsvertretern und der Fachpresse aufgegriffen und somit der Bereich sensibilisiert wurde. Unabhängig von der sicher möglichen Auslegung des Einzelfalles halte ich die von Jürgen Kohlstädt getroffene Entscheidung unter mancherlei Aspekten insgesamt für richtig!
Egal ob die Schachwelt durch ein Schauspiel zur Absolution geneigt werden will oder auch brachial zur Akzeptanz gehievt wird und wie nah und grau die Grenze zwischen Partie und Nicht-Partie sein mag, letztlich kann es niemandem gefallen, der das Spiel um seiner ideellen Werte betreibt und die Essenzen jenseits der banalen Honorierung des Erfolges schöpft. Dazu zähle ich mich eindeutig und auch den Coach. So wenig Arroganz und Ignoranz, und sei es aus Dummheit bzw. Gedankenlosigkeit, zu uns passt, so wenig wäre uns diese Entscheidung nicht vollauf verstanden und begrüßt! Die emotionalen Nachwehen, geboren aus Betroffenheit, da getroffen zu werden, wo man sich des Verdachts erhaben wähnte, lassen sich im übrigen auch gerade im Bereich der Grauzone kaum anders vernünftig bewältigen.
Jürgen Kohlstädt ist bekannt für seine Art der Auslegungen, aber gewiss auch als aufrechter und loyaler Verfechter einer hohen Funktionalität des Spielbetriebes und wenn es sein soll, dann eben auch aller innewohnenden Ethik.
Es ist letztlich ein Gewinn für alle Beteiligten auf eine gewisse Verlässlichkeit bauen zu können! Wenden wir also unsere beruhigten Herzen wieder dem zu, woran gezerrt wurde, dem eigentlichen Sport, dem Spiel, dem wir so viel widmen und freuen wir uns, es wenigstens noch teilweise geschützt vorzufinden!

Mikly

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