Spring-Festival Budapest 2003
13.März 2003, einmal mehr entere ich den Nachtzug in Köln über Wien zum Spring-Festival nach Budapest.
Der Grund ist diesmal jedoch nicht nur die pure Lust auf ein Schachturnier in einer bezaubernden Stadt, sondern auch eine Reminiszenz an den ersten Besuch vor genau 10 Jahren, der seine Wirkung über die Jahre entfaltet hatte (damals fertigte ich anhand meines Reisetagebuches einen fast zehnseitigen Bericht an, der jedoch verschollen ist - immerhin ist dank der bewahrenden Talente von Martina Sellmann jüngst die Kurzfassung wieder
aufgetaucht, welche damals ihre Veröffentlichung in den Info-Blättern des SV Großhansdorf, des Hamburger SK und des Hamburger Schachverbandes fand, jedoch naturgemäß viele Details
entbehrt). 10 Jahre, in denen ich mindestens einmal im Jahr, meist jedoch öfter dorthin reiste um stets von Neuem den Aufenthalt genießen zu dürfen. Ein Genuß, der sich alleine schon bei jedem simplen, mehr oder weniger ausgedehnten Spaziergang einzustellen vermochte.
Anstoß für jene prägnante Lebensapplikation war seinerzeit, neben einem lange zuvor entstandenen inneren Zug dorthin, mein ungarischer Arbeitskollege und Freund Attila Pentek, der mir seine Wohnung im Vorort Gödöllö für den Aufenthalt zur Verfügung stellte. Gödöllö? Richtig, ebenda hatte die Kaiserin Elisabeth ("Sisi") ihr bevorzugtes Domizil. Sie wird ob ihrer erklärten Sympathie für die Ungarn dort nach wie vor mit besonders schätzender Aufmerksamkeit bedacht, was aber nicht verhinderte, daß das kleine Schloß in Gödöllö in den Jahrzehnten nach dem Krieg ziemlich verfallen ist. Dieser Umstand erfreut sich mittlerweile ebenso einer Kehrtwende wie so vieles seitdem. Es war natürlich klar, daß sich manches in den kommenden Jahren wandeln würde. Umso intensiver saugte ich auf, was mir die paar Tage erübrigen konnten. Seien es die köstlichen Lángos am Örs vézér tér gewesen oder die alte Markthalle am Stephansdom oder allgemein die noch relativ unentwickelte Ausrichtung auf Touristenströme, beispielhaft erkennbar an den Preisen in bestimmten Vierteln oder den Offerten in der Váci utca. Aber vor allem die so schwer beschreibbare Atmosphäre einer alten europäischen Kapitale, in welcher durch die Jahrzehnte konservierte Vergangenheit atmet gepaart mit bedächtigem Aufbruch bei verbliebener ureigener Identität. So bricht man sich einen ab .. :)
Besonders eng verbunden mit diesem Rückblick aus aktuellem Anlaß sind natürlich die Freunde, die ich dort finden durfte, initiiert durch die letzte Partie im 93er-Turnier. Als ich wenige Monate später den Kontakt zur Familie Gara aufnahm, war die weitere Genesis nicht absehbar. Meine Gegnerin jener Partie, die seinerzeit 8-jährige Ticia, hatte das Turnier mit einer Jugendgruppe im Rahmen eines besonderen Programms mitgespielt. Ihr Vater, Dr.Imre Gara, war bis kurz nach der "Wende" leitender Arzt in einem Krankenhaus und unter seinen Patienten befand sich der Vater von .. László Polgár. Imre fand Gefallen an der Idee um die Polgár-Kinder und übernahm den "Erziehungsplan" von László. Doch dieser wandte sich bald wieder ab, weil ihm die Umsetzung viel zu inkonsequent gehandhabt wurde. Jedenfalls unterstützte ich über geraume Zeit in mannigfacher Form gemeinsam mit wenigen vom SV Großhansdorf die schachliche Ausbildung der beiden Töchter. Insgesamt entwickelte sich ein reger gegenseitiger Besuch zu den verschiedensten Anlässen in Deutschland und zu meinem Vergnügen (u.v.a. Dank an die Gastfreundschaft der Familie und die Kochkünste von Zsuzsá!) in Ungarn. Natürlich erreichten Anita und Ticia nicht das schachliche Niveau der Polgár-Schwestern, aber doch jeweils den WGM-Titel sowie Einsätze in der ungarischen Frauennationalmannschaft. In Deutschland spielen beide außer weiterhin für den SV Großhansdorf auch im Frauenbundesligateam des USV Halle und waren ebenso erfolgreich für die Ländermannschaften von Hamburg bzw. Sachsen-Anhalt am Brett. Über diese "Ungarn-Connection" fand übrigens außerdem WGM Nikoletta Lákos den Weg nach Sachsen-Anhalt zum USV.
Der Gründe waren es somit zwar nicht alle, aber doch genug das Spring-Festival heuer in den Urlaubsplan aufzunehmen. Das Turnier indes verlief äußerst ambivalent für mich.
Nach dem verheißungsvollen Auftaktsieg gegen IM Boguszlavskij gelang mir danach überhaupt nichts mehr - habe nur noch furchtbarst gegurkt und teilweise die Partien bereits in der Eröffnung einzügig weggeschmissen und dabei ein ganzes Arsenal von Fehlern ausgeschöpft. Als ein Höhepunkt sei nur in Runde 2 gegen FM Csápo das unverstandene und somit nicht realisierte Remisangebot erwähnt .. Bin dort aber auch sonst irgendwie in ein richtiges Loch gefallen. Vermute, nach den vielen fast kontinuierlich aufregenden Monaten zuvor hat mein Körper einfach mal komplett alles abgeschaltet ..
Ab Runde 4 war ich aber insoweit erlöst, als daß dann nur noch Spieler ohne Elo-Rating kamen.
Bis zur letzten Runde. Dieser hatte Elo 1984 (ist ja neuerdings möglich) und das hieß, ich mußte unbedingt gewinnen um das Turnier wenigstens noch für die Elo-Wertung zu retten.
Handelte mir wieder eine schlechte Stellung ein und wollte schon verzweifeln, als er dann aber nicht sonderlich nachsetzte und ich mich wieder konsolidieren konnte, aber in einer wenig dynamischen Stellung und ungleichfarbigen Läufern kaum auf den ganzen Zähler hoffen durfte. So kurbelte ich und kurbelte bis .. er tatsächlich noch etwas einstellte. Geschafft!
Wenn alles so stimmte mit den nur vier Elo-Gegnern, die in die Wertung kommen, dann konnte ich also wenigstens ein paar Pünktlis Plus verbuchen. Seltsam.
Ausgesprochen angenehm fand ich den Kampfgeist aller dort - die alten Haudegen haben alle wie die Löwen geackert. Insofern auch durchaus positiv und für die Spielpraxis gut, wenn auch mit diesem eher erschütternden Fazit über meine derzeitige Form.
Ansonsten waren es echte Urlaubstage. Bin vormittags kaum aus den Federn gekommen. Die Tage waren alle sonnig, wenn auch noch deutlich kühler als hier. Die Stadt bot die üblich fortschreitenden Veränderungen auf dem Weg in die EU. Der Nationalfeiertag wurde mit einem schmalen Fußgänger-Ponton über die Donau begangen, beschallt von feierlicher Musik. Das Jubiläum beging ich mit der Familie im "Vörös és féher".
Anita hatte mir wieder Unterkunft in ihrer Wohnung auf der Pester Seite gewährt, von wo aus ich fast alles zu Fuß erreichte und insbesondere den Stadtteil Jószefváros erkundete. Die Straßenbahn brachte mich in Direktverbindung in die Turnierräumlichkeiten des Verbandes.
Etwas dramatisch gestaltete sich dann noch die Abreise. Diesmal rechtzeitig am Kéléti-Bahnhof erfuhr ich von einer unbestimmten, jedoch mindestens einstündigen Verspätung des Zuges aus Belgrad, der mich nach Wien bringen sollte. Der Übergang dort jedoch betrug nur wenige Minuten. Also mit dem Taxi schnell zum Flughafen und dank Steffis Durchsetzungsvermögen noch mit dem letzten Ticket des MALEV-Fluges rechtzeitig zurück in Köln .. zur Arbeit.
Mikly