Ramada-Quali Hamburg 2006
Zuckungen auf hartem Grund
Wenn Du einsam bist, wenn Du Dich in der Welt wie ein Fremder fühlst, spiele Schach. Das wird Deinen Geist erheben und Dein Ratgeber im Kampf sein.
(Aristoteles)
Die alten Griechen und das Schachspiel!? Aber wer mag ihnen schon als meisterliche Sucher am Erkenntnishorizont widersprechen? Doch wo sich mögliche Ziele gegenwärtigen Lebens von denen des antiken Kampfspieles anachronistisch dividieren, findet auch der Mutlose eine Brücke über das gurgelnde Delta und sei sie auch als unterirdischer Pfad verkleidet.
Nein, weder sonderlich kampfeslustig noch erhebungsgesegnet brachte ich zwei Jungs in den Westen der Elbmetropole, just bevor der Wintereinbruch noch anspruchsvollere Herausforderungen ausbreitete. Und von der kuscheligen Kölner Bucht verwöhnt war ich auf Väterchen Frost ohnehin in keiner Weise eingestellt.
Doch wurde das Frösteln im knitterkalten finnisch-russischen Hoch im Turniersaal bequem wieder ausgeglichen, denn drinnen war das wärmende Bad in der Menge unausweichlich, die Kapazitätsgrenze gesprengt. 400 Quadratmeter hatte der DSB geordert, 500 Quadratmeter erhalten und musste doch die D-Gruppe komplett in das gegenüberliegende Lichtwarkhaus, der ehemaligen Heimstatt des inzwischen wiedererstarkten SC Bille, auslagern. Bereits nach der ersten Runde konnte die Exklave durch zusätzlich frei gewordene Flächen im Hotel zwar wieder aufgegeben werden, doch die gewisse Enge im Felde blieb. Geblieben sind auch die Verspätung der Auftaktrunde, die sonderbaren Verweise auf vermeintlich nötige Zuschüsse des DSB und die "intelligenten" Inhalte der Rede des Bergedorfer Bürgermeisters. Neu sind dagegen gewisse Verläufe der Elbe sowie die doppelte Spaltung der Ehepaare Jordan und Mädler, die ansonsten stets gemeinsam präsent sind, sich diesmal jedoch Porzellan (die Männer) und Ramada (die Frauen) ebenso wie immerhin noch dasselbe Flussbett teilten.
Trotz der hochbeachtlichen Teilnehmermenge (mit einigen besonderen Effekten wie z.B. in Gruppe E, wo vier Mal gewinnen plus ein Letztrundenremis (4,5/5!) nicht unbedingt für die ersten fünf Plätze genügt, obwohl kein einziger Spieler alle 5 Partien zu gewinnen vermochte(!!), also niemand mehr Punkte hatte!) gab es für meinereiner diesmal indes recht wenige Wiedersehenseffekte und auch diese (z.B. die Löberitzer Schachtagedauergäste aus Horst-Emscher sowie Marc Duhn) verblieben in arg bescheidenem Rahmen. Dazu hielt mich zu wenig im gewohnten Hotelambiente und trieben mich manche Erledigungen hinaus durch die Stadt, welche im ungewohnten Winterwetter ungewohnt warme Heimeligkeit suggerierte.
Ganz und gar nicht heimelig ging es derweil auf meinem Brett zu. Zum Auftakt wählte ich zu stumpfe Angriffsspitzen und landete in einem eher schlechteren Turmendspiel um dennoch das Remisangebot des Eisenhüttenstädters abzulehnen und dafür mit einem Einsteller zum sogar noch vollen Punkt belohnt zu werden. Bereits in der darauffolgenden Runde am Nachmittag jedoch verdarb ich bereits das gesamte Turnier. Mit Schwarz glänzend aus der Eröffnung gekommen schlichen sich krumme Ideen anstelle des natürlichen Frontalangriffs (mein Gegner sah sich zurecht völlig breit) in die Hirnwindungen und wurden kurz darauf mit einem fetten Einsteller, und diesmal meinerseits, bestraft. Aus. Das war's. Die angestrebte Qualifikation war schon sehr unrealistisch
geworden. Angestrebte Qualifikation? Ja! Erstmals seit Beginn dieser Turnierserie, die inzwischen aus allen Nähten platzt und in der nächsten Auflage um ein Vorrundenturnier erweitert werden wird, hatte ich den Wunsch zum Finale aufkommen lassen, was sowohl mit dem unglücklichen Abschneiden in Hockenheim, aber vor allem natürlich auch mit dem Finalort Halle zusammenhängt.
Zunächst aber erwartete mich am Samstag in der Frühe ein besonders zäher Gegner, eine äußerst wilde und fehlergefüllte Partie mit dem letztlich besseren Ende für mich. Der schwarze Nachmittag geriet wirklich schwarz, denn ich musste die letzten verbliebenen vagen Hoffnungen endgültig begraben, als mein Gegner nach der Eröffnung Remis bot und ich trotz intensiver Suche nicht wirklich ablehnen konnte (ohne Angebot wäre die Partie mit offenem Ausgang ja einfach weitergegangen). Wie sich in der gemeinsamen nachträglichen Analyse herausstellte, hatte mein Gegner die Variante, derentwegen mir die Annahme erzwungen schien, zwar gar nicht berechnet, doch es bleibt die Hypothese für das Paralleluniversum. Die Schlussrunde am Sonntag schließlich zeigte zu viele Orientierungslosigkeiten in meinem Oberstübchen auf, als dass ich meinem jungen und sehr sauber agierenden Gegenüber ein ernsthafter Konkurrent hätte zu sein vermögen. Doch musste ich ihm trotzdem schon wider besseren
Wissens selbst alle Türen zu seinem Erfolg öffnen,
was seiner perfekten Kür gegen meine Insellandschaft keinen
Abbruch tut.
Die Rückfahrt, nach Spätfrühstücksseelachs im traditionellen langreihigen Max&Consorten, neben "Deutschlandfunk" hingegen geriet dann noch zu einer traumhaften Entspannung mitten hinein in die herrliche Wintersonnenpracht.
Mikly
Im Vergleich mit der verrückten Unvorhersagbarkeit und Unkontrollierbarkeit weiter Bereiche der menschlichen Existenz ist Schachspielen wie ein Paradies der Vernunft.
(G.Botteril)
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