Rīga-Open 2012 (8)

Tag 7

Rīgas Rozenbalzams

Das Bild vom Dach musste weichen Und ich bin wach, diesmal völlig unbehämmert, denn mein Wecker kommt zum Einsatz. Die einzige Einzelfrührunde steht am abschließenden Sonntag auf dem Programm und natürlich geht es wieder gegen einen Norweger und diesmal wieder einen aus der Nachwuchsliga. Nach dem deutschen FM aus der Auftaktrunde wurde ich somit in sämtlichen sechs weiteren Auslosungen durchweg norwegisch begegnert.
Bei den Jugendlichen sind Partien oft rar gesät, die große Datenbank gibt da nichts her. So auch hier. Ganz ohne Vorstellung will ich aber nicht bleiben und mache mir daher die Mühe, auf den norwegischen Seiten zu stöbern bis ich fündig werde: 1.c4! Schon wieder! Das muss mit deren Trainer zusammenhängen, denn das vermutliche Idol Magnus Carlsen gehört nicht gerade zu den Vorreitern des Damenläuferbauernanzugs.
Andris Für das Frühstück bleibt keine Zeit mehr, weder hier noch unterwegs, es wird eines im Foyer gebastelt. Derweil nimmt die Partie eine mir wohlvertraute Anlage. Bald schon gehen die schwarzen Figuren in konzertierter Aktion gegen seinen König vor, während er sich beharrlich auf die Vorteile am Damenflügel verlässt, bis die Kapitulation auf dem vernachlässigten Terrain unvermeidlich wird. Wieder nimmt es nicht viel Zeit in Anspruch, ich habe aus dem Debakel der dritten Runde gelernt. Der überfällige Besuch bei Andris im B-Turnier wird möglich, weit im anderen Flügel, eine Etage höher. Eine Mutter bittet um ein Foto mit ihrem stolzen Sprössling. Es gelingt.

Turm Akademie der Wissenschaften Petri-Spiegel Markthallen und der schlanke Sendeturm Zither

 

Ordensschloss Und der Sonntag macht seinem Namen alle Ehre, das Wetter an der Mündung zur Rīgaer Bucht ist prächtig. Endlich kann ich auf die Türme der Stadt und den Blick von oben schweifen lassen. Doch die Kasse an der Petri-Kirche ist geschlossen. Ich gehe rüber zum Dom, aber auch dort gibt es keine Möglichkeit zu entern. Man empfiehlt mir, es in der Petri-Kirche zu versuchen. Wild unentschlossen schlendere ich Richtung Düna, vorbei am Ordensschloss. 1330 hatte der Deutsche Orden ein Schloss an das Ufer des Flusses gebaut, zwei Mal in den folgenden 200 Jahren rissen es die aufbegehrenden Rīgaer Bürger ab und mussten es doch letztlich jedes Mal selbst und auf eigene Kosten wieder neu aufbauen. Die Ausführung von 1515 steht heute noch da.
Magischer Sand Auf der anderen Seite wirbt der magische Sand um Aufmerksamkeit, flussaufwärts grüßt der markant-schlanke Fernsehturm, die Möwen kreischen im Licht. Und schon stehe ich wieder vor der Petri Kirche und jetzt verzögert nur noch eine gehörige Schlange an der Kasse den Aufstieg und der gerät eindrucksvoll, Sol sei Dank.
Wie vor achthundert Jahren im Höhenwettstreit zwischen den Verantwortlichen der beiden Sakralbauten, so trägt auch jetzt die Svētā Pētera baznīca den Sieg und mich auf 72 Meter Bodenabstand davon. Ein herrlicher Rundblick öffnet sich. Sobald ich wieder hinunter will, hält mich die Kamera davon ab. Irgendwann gehen aber auch ihr die Argumente aus und der Fahrstuhlführer akzeptiert uns noch einmal als Fahrgast.

Ausnahme Kurzremis Als ich zurück komme, hat sich Normi an seinem sechsten lettischen Gegner schadlos gehalten und nebenbei im Turnierverlauf seine Ungeschlagen-Serie gegen Familie Sveshnikov ausgebaut, Paul mit dem Remis das für ihn unbefriedigende Abschneiden von +1 bei acht nominell schwächeren Gegnern zementiert, Judith Fuchs sich den Damenpreis gesichert (die vom Löberitzer Ehrenpreisturnier bekannte Elo-Favoritin Laura Rogule musste noch hinter zwei weiteren Teilnehmerinnen, jeweils aus Russland, anstehen) und Frido nochmal Luft dran gelassen. Aber sein und mein performantes Abschneiden werden sich noch gegenläufig anpassen, wenn unser gemeinsamer Gegner Edvardsen aus Stavanger seine erste Elo-Zahl gebucht bekommt - Fridos Minus wird sich deutlich reduzieren und mein leises Plus zum Minus.
An der Spitze hat sich Jan Markos mit einem üblichen finalen Kurzremis verdientermaßen behauptet. Man kann den Turnierfavoriten jedoch angesichts vieler entschiedener Partien, selbst noch in der Schlussrunde, kaum mangelnden Kampfgeist vorwerfen.

Analyse im Foyer Pauls 9. Altbekanntes Blitz-Duell: Dana vs. Fridman

Die drei Jungs analysieren im Foyer. Irgendwann finden sich aber nicht nur Löcher in Fridos Stellung, sondern auch in allen Bäuchen. Schon länger war mir, wie einst vor ziemlich exakt sieben Jahren mit dem großen Löberitzer Tross, ein Besuch im mittelalterlichen Restaurant Rozengrāls im Sinn gewesen, doch alleine hatte es dazu an hinreichender Motivation gefehlt. Nun ist die Chance gekommen und ich schleuse Historiker Normi & Co dort hinunter.

Rozengrāls, Gewölbe Im schummrigen Kerzenlicht, bei Schalmeienklängen an groben Holztischen, gedeihen bald kurzweilige Dialoge. Über die mögliche Authentizität der Speisekarte sinnierend stufen wir manche Frucht und Beere als glaubwürdig ein. Da erhebt Frido Einwand, die Erdbeere sei doch schließlich eine Nuss! Verblüfft entgeht uns beim Verwerfen sein noch frischer Zugang zu Schulkenntnissen. Oder, wie weit ist es von Rīga nach Wien und Budapest? Egal. Aber welche der beiden Donaumetropolen liegt nördlicher? Budapest, behaupten Frido und Normi, Wien, bin ich mir sicher. Frido traut sich eingedenk mancher Erfahrung aus praktiziertem Globalissimo und Städteherausforderungen nicht, eine Wette einzugehen. Normi ist mutiger, das nächste Getränk wird nicht geteilt. Dann aber verfehle ich das Thema mit der Frage nach Hergang und Vorgeschichte zum Duell der sechsten Runde zwischen Paul und Judith. Knurrend gibt Paul zu Protokoll, diese Begegnungen hätten schon öfter stattgefunden, seien immer ausgefochten worden und heuer sei er das erste Mal unterlegen. Punkt.

Danas Nachfolgerinnen Spielsaallichter Stellungsbewertung + 0.00

Gestärkt steigen wir zurück zu Tageslicht und Netzabdeckung. Zunächst hat Frido das Grinsen im Gesicht mit der Erdbeere als Rosengewächs unter Sammelnussfrüchten! Und dann gewinne ich die Nordschlacht um zwei ganze Bogenminuten und lasse mir den nächsten Cappuccino unter strahlender Sonne auf Normis Kosten munden. Dieser wiederum diktiert mir in die Tasten seines Notebooks: "Ich Idiot!" mit dem Vermerk, diese Feststellung doch auf jeden Fall in den Bericht aufzunehmen. Allerdings ist mir der Hintergrund dazu nie so ganz geläufig geworden. Egal, wird schon stimmen. ;)

Draufsicht Disneyland Die sich zunehmend hinter der Domkuppel versteckende Sonne ruft zur Zeremonie der Siegerehrung des 2. RTU-Open, welches übrigens mit der Vorfreude auf die 150-Jahrfeier der gastgebenden Rīgaer Technischen Universität zusammenfällt. Im Eingangsbereich zählt eine digitale Uhr die Tage, Stunden und Minuten bis zum großen Jubiläum herunter. In der provisorischen Kafejnīca erstehe ich ein paar RTU-Artikel und komme mit einer Organisatorin ins Gespräch. Wie mir das Turnier denn gefallen habe, fragt sie mich. Ich lobe den prächtigen Spielsaal, die gutklassige Besetzung und die reibungslose Organisation, erwähne aber auch die Probleme mit der gewählten Bedenkzeit. Lakonisch merkt sie dazu an, es gäbe schließlich auch zwei Doppelrunden und da müssten die Spieler zwischen den Runden genug Zeit haben, sich etwas zu erholen, zu essen und vorzubereiten. Und außerdem könne man sich darauf einstellen. Ähm, ja, ich nicke brav. Einstellen könne man sich auch auf die Fortsetzung der Serie, immer direkt nach dem Open von Liepāja, ideal für Kombinierer.

Turniersieger Ján Markoš Dana, Shirov Dana vs. Normi; Danas Ex-Trainer Ehlvest kiebitzt

Es folgt die Siegerehrung, im voll besetzten Saal. Während die Preisträger bis zum neuen Titelträger Markoš ihre Anerkennungen empfangen, trifft Prominenz ein. Dana, wie immer mit Andris, sowie Shirov (lettisch: Širovs), dessen Teilnahme am abschließenden Blitzturnier von den Organisatoren schon Tage zuvor freudig avisiert worden war.
Dana entdeckt uns und wärmt sich die Blitzhände mit ein paar Partien gegen Normi an, aufmerksam beäugt von ihrem ehemaligen Trainer Jaan Ehlvest. Das Blitzturnier, manche rümpfen ob der ausgeschriebenen zwei Sekunden Bonus die Nase, beginnt. Ich kiebitze noch etwas und jage dann die wieder mal phänomenalen Wolkenformationen über der Stadt.
Frido, Dana Letzte Einkäufe und Erledigungen, ein halber Check Out im Hotel, Check in zum Flieger und nochmal zurück zur RTU in der Erwartung, gerade recht zum Blitzturnierende zu kommen. Weit gefehlt, es sind kaum mehr als die Hälfte der Runden absolviert. Ich passe und verzichte in Anbetracht der kurzen Nacht und noch immer angeschlagener Gesundheit auf das spätere Essen mit Dana & Co. Packen ist stattdessen Programm. Um Mitternacht ist alles in Sack und Tüten.
Kurz nach ein Uhr morgens bin ich endlich eingeschlafen, kurz nach drei kommen die italienischen Nachbarn in ihr Zimmer zurück und kurz nach vier hämmert mein Wecker. Pünktlich um halb fünf bringt mich das bestellte Taxi zum Flughafen, Security, und da sitzen die drei Jungs beim Kaffee. Deren Fluggerät soll nur ein paar Minuten später starten, aber dafür auch schon in Berlin wieder landen. Eine Tasse stelle ich noch dazu. Adiós! Mein Gate nach Frankfurt wartet.

Mikly

Schwarzhäupter bei Nacht
Gitarre
Rīga flussaufwärts
Orchester
Rīgas goldene Fassaden
Violine

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