Rīga-Open 2012 (7)

Tag 6

Rīgas Melnais balzams

Morgendliche Wecker Und ich bin wach! Es wird gehämmert und geklopft, immerhin eine Stunde später als sonst. Auch das Frühstück gibt es am Wochenende eine Stunde länger, was nichts an meinem Verzicht ändert. Draußen ist es trübe bis schaurig. Ich bleibe im Bett und stürze mich in die Arbeit, bereite mich erstmals intensiv auf den nächsten Gegner vor, der, wie sollte es anders sein, wieder ein Norweger ist, wenn auch kein Jugendlicher. Nicht Frido, nicht Frodo, Frode heißt er und hat, so als echter Norweger, zumeist Skandinavisch im Angebot, eine womöglich zähe Angelegenheit also.
Streetball Und genau so entwickelt sich auch die Vorbereitungsarbeit, äußerst zäh. Während draußen offenbar irgendein Leben tobt, dringen doch von einem der nahegelegenen Plätze permanent Lautsprecheransagen herein, wahrscheinlich eine politische Kundgebung, so klingt es, zwischendurch immer mal wieder von musikalischen Einlagen unterbrochen. Was man immer nur hört, will man irgendwann dann ja auch sehen, aber Tiviakov raubt mir immer wieder die Hoffnungen auf Vorteil. Schließlich bleibt keine Zeit mehr, ich muss aufbrechen! En passant erweist sich das Kundgebungsspektakel als harmloses Streetball-Turnier. Es gelingt mir kurz vor 17 Uhr wenigstens noch ein paar Pelmeni als Frühstück einzuwerfen.

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Doch die Partie läuft anschließend dafür mehr als rund. Diese kleine Idee, die sich irgendwann doch noch in meine Neuronen eingenistet hatte, wirkt überaus effektiv und dann verteidigt er sich, so schnell aus dem Tritt geschlagen, derart unzäh, dass die Partie insgesamt kaum länger als am Vortag dauert und meine Gesundheit nicht auf konditionelle Proben gestellt wird. Paul nennt mich jetzt "Punktmaschine". Da sich der Geschlagene nicht gerade bestgelaunt davon macht, kann ich nach einem Rundblick auf die übrigen Bretter, die keine Sensationen nahe legen, endlich noch der Neustadt einen Besuch abstatten, was eigentlich für den Vormittag geplant war.

Wir sind nicht in Italien! Entlang dem Boulevard, an dem sich einst der Wassergraben der Stadtbefestigung befand, vorbei an der herrlichen orthodoxen Geburt-Christi-Kathedrale, stoße ich in das Viertel des Jugendstils vor, welches einen Kontrast zur Altstadt bietet, der an einem frühen Samstag-Abend kaum größer sein könnte. Hier die Ruhe, als es dort lärmt, hier die Autostraßen, dort die Gassen und Plätze, hier die kleinen, vereinzelten Cafés und Restaurants mit weit überwiegend einheimischer Kundschaft, dort die auf Touristen fokussierten Gastronomiebetriebe.
Live-Übertragung Einen Schuster für meine abgelaufenen Sohlen finde ich aber auch hier nicht und auch keinen geöffneten Frisör mehr, der sich meiner Fransen annehmen könnte. Dafür komme ich nochmal am Hotel Laine der ersten Nacht vorbei und stelle fest, dass sich die Party keineswegs auf einem Privatgrundstück, sondern auf dem Terrain eines skurrilen Cafés abgespielt hatte. Die Nichtbeleuchtung gehörte dazu, sei es aus Vorzug für die Dunkelheit oder quasi zur Tarnung, um unter sich Lido-Kette bleiben zu können. Das können die Rīgaer in der Tat nur noch hier, dieses Schicksal teilen sie mit jeder weltoffenen Metropole und immer gibt es Zentren, welche die Besucherströme magisch anziehen und die nicht ausgewiesenen Ecken bleiben als Inseln der Vertrautheit, des nicht hastenden Wechsels, der nicht beliebigen Begegnungen übrig. Ich entdecke ein weiteres "Lido", es handelt sich bei der Self-Service-Einrichtung also um eine Kette.

Das wahre Schach im Park Zurück zur Altstadt geht es durch jenen Grüngürtel am Boulevard, durch die großen Parks der Stadt, die, teilweise mit sehr familienfreundlichem Freizeitangebot ausgerüstet, für die einen Oasen der Beschau- oder Besinnlichkeit und für romantische Pärchen willkommene Rückzugsgebiete in ihrer Konzentration auf die wesentlichen Dinge des Lebens sind. Auf den Sitzreihen vor dem Pavillon entdecke ich bei zunehmend hereingebrochener Dämmerung noch eine weitere Freizeitaktivität, wie sie in den Parks vieler Städte anzutreffen ist: Schach! Mit etwas Abstand setze ich mich und folge stumm der Szene. Irgendwann begreife ich, dass das wahre Schach hier gespielt wird, hier, zu genau dieser Stunde, in genau dieser Form, von diesen Leuten.

Normi-Bezwinger Sam Collins Der Hunger treibt mich nochmal vor die Tür, naschen gehen. Als ich eintrete, stülpt sich die Bedienung just die Jacke über, Feierabend! Den gönne ich ihr und will gehen, aber sie überzeugt mich zu bleiben, das sei überhaupt kein Problem. Also gehorche ich und lasse mir noch einmal die feine Würze munden, während auf dem großen TV-Schirm offenbar eine russische Schmonzette aus den Sechs- oder Siebzigern läuft. Außer dem Koch und der Bedienung schaut auch deren Mann, der inzwischen zur Abholung seiner Frau eingetroffen ist, vergnügt der Komödie zu.
Zum Gehen gebe ich eine Runde, mir den Balzams, die anderen bevorzugen Tequila, der Mann verzichtet, er muss fahren. Der Koch reicht aufgeschnittene Gurken, für den Geschmack. Da verzichte ich, denn der Geschmack von Medizin darf bleiben.
Rundum zufrieden sinke ich in die Federn. Alle Löberitzer stehen bei fünfzig Prozent. Morgen muss nochmal was geschehen.

Mikly

Frido bastelt Mitorganisatorin Katrina Skinke Normi bastelt

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