30. Travemünder Open 2013

Dopo l'oscuro nembo

Travemünde im Licht Weihnachten 1989, bewegende Zeiten für Ost und West. An der Grenze zwischen den nahfernen Welten, wo die Trave in die Ostsee mündet, da findet das 6. Travemünder Schachopen statt, erstmals mit mir als Teilnehmer.

Weihnachten 1999, bewegte mikrokosmische Ost-West-Zeiten, da die Mannschaftsmeisterschaften in Sachsen-Anhalt erstmals mit mir als Teilnehmer stattfinden. Auch das Travemünder Schachopen sieht mich wieder, es ist bereits die 16. Ausrichtung.

Cheforganisator Rüdiger Pflaum Weihnachten 2013, unbewegte Zeiten, das Travemünder Schachopen findet zum letzten Mal statt - es ist die 30. Auflage. An sämtlichen 30 Turnieren hat als Spieler nur Fritz Fegebank von den Schachfreunden Hamburg teilgenommen. Was macht er wohl im nächsten Jahr? Und was geschieht wohl künftig mit dem doch sehr universellen Namen der Veranstalter-Homepage schachopen.com? Wird er meistbietend versteigert? Auch ich winke zum Abschied, mal mit links und mal mit rechts. Die linke Hand führt vormittags die schwarzen Steine und die rechte Hand nachmittags die weißen Steine. So lesen sich dann auch die Resultate: 0,5/4 mit einer rechnerischen Leistung von vermutlich um die 1400 gegen 3/3 mit einer rechnerischen Leistung vermutlich um die 2200. Auf den Brettern fühlte es sich anders an als es die nackten Zahlen vorzugeben scheinen, sie sind wie immer nur ein seelenloser Behelf. Doch der Reihe nach ...

Skandinavien-Kai Es ist Freitag früh. Aufbruch bei herrlicher, im Osten stehender Sonne, Ankunft im Spiellokal gleich neben dem Travemünder Skandinavienkai, Anmeldung, Warten auf die Eröffnung, die dann Cheforganisator Rüdiger Pflaum mit launigen Rückblick- und Abschiedsworten bestreitet. Los geht's.
Mein Gegner ist ein schwedischer Jugendlicher, laut Teilnehmerliste ohne Elo, vorgeblich aber mit DWZ (1605) - es handelt sich vielleicht um eine Einstufung. Am Ende würde er vor mir einlaufen, mit einer Performance von über 2000.
Wie die Sardinen: ELO-Open Das Platznehmen geht noch, aber Aufstehen und die Sitzreihen verlassen oder wieder zum Platz zurückzukehren ist nicht so ganz einfach. Denn obwohl die Aula der Ostsee-Akademie so viel Platz wie die gesamte norddeutsche Tiefebene bietet, finden sich die Spieler wie Ölsardinen zusammengestopft, mit Ausnahme der ersten Bretter. Dabei bleibt sogar eine ganze Tischreihe unbesetzt; das Elo-Open schafft es nicht ganz auf 200 Teilnehmer, ist damit aber laut Ansage der Veranstalter das zweitbest besuchte Weihnachtsopen Europas. Mir gelingt gar nichts, die Züge generieren sich zäher als Leder, keine Ideen, kein Plan, ich sehe nichts, rechne schwach, nur Gegurke, die vielfältigen Weihnachtsbraten liegen schwer wie Blei auf den Neuronen. Im 37. Zug dann die Erlösung - er bietet Remis.

Viel Platz für Ansagen Dass dieser völlig missratene Auftakt das gesamte Turnier determinieren würde, das manifestierte sich dann genau drei Tage später endgültig. Zunächst aber in die City, ein frisches Bismarck-Brötchen verzehrt und dann zum Einchecken ins nächst dem Spiellokal gelegene Hotel. Der Internet-Zugang funktioniert nicht. Zwar gibt es sendestarke Hotelnetze en masse, aber die Dame an der Rezeption kann/will mir keinen der nötigen Zugangscodes geben. Unverrichteterdinge ziehe ich St. Lorenz in Travemünde ab zur zweiten Runde des Tages. Mein Gegner ist wieder ein Jugendlicher, diesmal aber aus Dresden, der also in der ersten Runde ein beachtliches Remis geschafft hat. Entsprechend vorsichtig lege ich die Partie an. Aber dann ist zum Glück nach 18 Zügen bereits alles vorbei. Erstaunt höre ich, wie mir der Knirps später seine Niederlage altklug erklärt: Er habe die erste Partie viereinhalb Stunden gespielt und daher für die zweite Partie keine Kraft mehr gehabt. Aha!

Beflügelte Kunst an den vorderen Brettern Am Abend forciere ich die Versuche ins Internet. Keiner der mir inzwischen zur Verfügung gestellten Codes funktioniert, aber man stellt fest dass das Netz des Provisionsbetreibers einfach aktiviert werden muss. Der Zugriff indessen ist kostenpflichtig, versteht sich. Eine höchst ärgerliche, speziell deutsche Hotelkrankheit, gehört der Internetzugang nach zahlreichen Erfahrungen doch ansonsten weltweit zum Zimmerstandard. Immerhin, das Essen dort ist gut, soweit es sich um die Hauptspeisen und Spezialitäten handelt. Dafür sind die Zimmer recht hellhörig. Damit meine ich gar nicht die Straße, die sich durch das selbstverständlich gekippte Fenster bemerkbar macht, sondern den Zimmernachbarn, der offenbar 24 Stunden täglich den Fernseher laufen lässt, und zwar hörbar.

Passat an der Ostsee Zur dritten Runde sitzt mir ein Westfale gegenüber, der ordentlich ins Grübeln kommt. Doch im vierzigsten Zug muss ich die Niederlage quittieren. Auf in die City zum Bismarckbrötchen; das hat gestern schon geholfen. Denn am Nachmittag droht mir wieder ein schwedischer Jugendlicher, der seine Gefährlichkeit im Turnier bereits unter Beweis gestellt hat. Nach einigen Drehungen und Wendungen steht schließlich so eine Art Morra-Gambit auf dem Brett, aber bestimmt nicht so wie sich das Weiß eigentlich wünschen würde. Trotzdem überfordert ihn meine Initiative, er wird überrannt. Auch das Wiederaufbauen klappt bei ihm nicht so richtig.

Wie ehedem: die Mädlers Uff, das war wichtig, soll das Turnier nicht vorzeitig den Bach runtergehen. Die Hotelküche verdient einen zweiten Besuch. Schach ist rundherum ein beliebtes Thema, viele Gäste sind wegen dem Open hier, u.a. auch wohl alle Generationen der Familie Michna. Zur Prophylaxe bei dem Sardinengedränge verkoste ich Karotten-Ingwer-Suppe und lese mich nebenbei durch die WM-Aufbereitung des KARL. Der Fernseher des Nachbarn brummelt mich später in den Schlaf.

Strandgut Andernmorgens sitzt mir ein Berliner gegenüber, von Weiße Dame - fast logisch dass ich wieder Schwarz habe. Die ersten Züge setzt er zackig. Fast fühle ich mich an den Schach-Hasardeur von Bassewitz vom Naumburger Open erinnert. Doch bald bringe ich ihn zur Ruhe und es entwickelt sich ein spannender Kampf. In heraufziehender Zeitnot treffe ich eine strategisch falsche Entscheidung, das Ende naht schnell. Mein Gegner zeigt sich sehr erleichtert, er war drauf und dran gewesen, seine Ambitionen fahren zu lassen. Für mich aber ist es die zweite verpasste Chance auf ein Break.

Klyszcz - Anders Das Bismarck-Brötchen wartet. Dazu gönne ich mir eine Thai-Massage, vielleicht hilft es. Am Nachmittag sitzt mir ein Hesse gegenüber. Nach seinem Fehler in der Eröffnung stehe ich schon komfortabel, als er eine interessante Turmopferidee auspackt; da wird es nochmal richtig spannend.
Letztlich aber kann sich Weiß, wieder mal, durchsetzen. Puh, das war Schwerstarbeit.

Karotten-Ingwer-Suppe, packen, zahlen ... nein, das Hotel kann das nur morgens, vorbereiten, wieder ein Schwede, waren es in Riga 2012 die Norweger, so kriege ich hier schwedische Schachspieler in Serie, und - schlafen ... nein, diesmal übertreibt es der Nachbar, er beschallt mit seinem Fernseher die gesamte Etage, ich klopfe, er reagiert nicht, ich gehe Marta scheint um Ruhe zu bitten zur Rezeption, geschlossen, also suche ich den Sicherungskasten, um dem Zimmer 16 den Saft abzudrehen, doch in dem Verschlag finden sich nur die Hebel anderer Zimmer und auch kein Hauptschalter, also klopfe ich nochmal bei ihm, diesmal jedoch noch heftiger, mit dem metallischen Schlüsselanhängerknauf, es grummelt aus dem Raum und dann wird es ... tatsächlich ruhiger.

Tiger Olaf arbeitet sich hoch Andernmorgens lacht die Sonne, wie zu Beginn. Ich treffe wieder Olaf Steffens, der es phänomenal ans Spitzenbrett geschafft hat - Tigerschach. Noch ein Sieg heute und ihm würde eine wohl noch größere Überraschung gelingen als Jörg Siemers seinerzeit 1997, als dieser vor allen Titelträgern einkam. Schön, ihn mal wieder zu sehen. Seinen Artikel über das Turnier hatte ich vorab gelesen und mich motivieren lassen. Auch andere, wie Britta Leib, Dr. Strenzke, gegen den ich im vorigen Jahrhundert die letzte Runde jener 99er Auflage spielte, Großhansdorfer gegen just Ex-Großhansdorfer, Jürgen Dümmke und Dirk Storbeck, die heutigen Top-Spieler des Ahrensburger TSV und ebenfalls Ex-Großhansdorfer, die alle auf einen Abstecher reinschauen.

Prinzenbrücke Mein Gegner ist offenbar vorbereitet, wie seine ersten drei Züge verraten. Ich variiere also, er kommt gleich vom Weg ab, ich kann gehörigen Druck aufbauen, die Lage ist schwierig für ihn, wir verbrauchen viel Zeit, aber ich kann den Druck unter Investition eines Bauern aufrecht erhalten, die Lage spitzt sich zu, in hoher Zeitnot fehlt mir eine zündende Idee, so geht ein zweiter Bauer verloren und gleich darauf wird die Stellung unhaltbar, der Angriff kam nicht durch, der Konter entscheidet - klassisch. Mein Gegner meint, dass es sehr kompliziert und unklar war, ich nicke nur.
Ältester Leuchtturm Deutschlands Das leere Gefühl der Enttäuschung überwältigt mich diesmal. Es greift mich, dagegen bin ich machtlos. Nicht so sehr, weil mit dieser großen schwarzen Rochade ein kleines Wertungsminus feststeht, sondern vor allem, weil nur ein Quäntchen fehlte. Keine Frage mehr, ob ich das traditionelle Abschlussblitzturnier bestreite, nach diesem Tiefschlag reicht es höchst außergewöhnlich sogar noch nicht einmal mehr für die Siegerehrung - ich will einstweilen niemanden und vor allem nichts mehr vom Turnier sehen. Sorry. Unausweichlich bedaure ich das später, mit etwas mehr Distanz. Die Flucht wurde weder dem Turnier noch der Relation von Leistung und Ausbeute gerecht. Zu allem Überfluss kann ich nun weder ein eigenes Gewinnerfoto noch Impressionen vom stets partyähnlichen Blitzevent präsentieren.

Die letzte Partie des Travemünder Opens Olafs Schlussrundengegner, der Ukrainer Andrey Sumets, holt sich durch den Sieg den letzten Travemünder Titel. Tiger Olaf fällt auf den, immer noch bärenstarken, Rang 7 zurück.
Die Sonne lockt zum obligatorischen Bismarck-Brötchen, auch wenn es mir für den Nachmittag kein Glück mehr bringen wird. Ein kleiner Abstecher zum ältesten Leuchtturm Deutschlands, zum Strand, ein Gruß an die Passat, das war's. Auf dem Heimweg nach Hamburg tröstet mich Elīna Garanča mit Dopo l'oscuro nembo. Schach-Open in Travemünde sind einstweilen Geschichte.

Mikly

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