Schloss im Martinsee

Schloss-Open Heusenstamm 2014

Altstadt Heusenstamm Die Verbrüderung zwischen Schach und Schloss schreitet voran - nach dem Schlosspark-Open von Wiesbaden und dem Schloss-Hotel als Stammquartier in Apolda rief nun mein ehemaliger Intermezzo-Verein SC Heusenstamm zum Schloss-Open. Ich folgte dem Ruf und begab mich am Mittwochabend auf die rheinische Autobahn. Mit Stopover in Camberg, einer Tagschicht in Neu-Isenburg und knapp einer Stunde Berufsverkehrfahrzeit für die 10 weiteren Kilometer nach Heusenstamm traf ich schließlich in der Sporthalle am Martinsee ein und konnte natürlich etliche bekannte Gesichter begrüßen.

Arvid von Rahden Ansprache, Auslosung, los geht's. Hmm .. mein Gegner hat unter 900 DWZ, ich erwarte also ein Kind und nicht die geringste Aussicht, etwas zu gewinnen, außer dem Turnierpunkt. Zu meiner Überraschung sitzt mir aber das Gegenteil eines Kindes gegenüber.
Nach 12 Zügen kommt der Fehler, die Partie ist eigentlich vorbei. Ich könnte nun ins Hotel zum Einchecken und hernach mein Abendprogramm beginnen. Doch mein Gegner überlegt weiterhin sehr ausführlich, was sich auch nicht ändert, als er nach 19 Zügen einen ganzen Turm für nichts weniger hat. Ein Kind würde man dafür ungezogen schelten, einem Erwachsenen könnte man Respektlosigkeit attestieren. Erst als seine Bedenkzeit nach 30 Zügen fast vollständig aufgebraucht ist, gibt er auf. Und das tut er mit einem so rührend-verschmitzten Augenzwinkern, dass sich meine aufgekommene Ungehaltenheit ob des recht sinnfreien Verlustes an Lebenszeit schlagartig in Luft auflöst.

Bauern zählen Schmunzelnd, aber nun doch schon etwas hektisch beziehe ich mein Quartier im nahen Gewerbegebiet von Obertshausen und mache mich auf den Weg zum seit Wochen überfälligen Termin beim Frisör und schließlich zum Auftakt der persönlichen Kulturabende, nach Offenbach, natürlich ins Hafen2, heute zum Konzert der britischen Avantgardistin Poppy Ackroyd.
Die Aufführung in den altbekannten Gefilden gerät zu einer kleinen Träumerei. Schon auf dem Rückweg muss das Info-Radio der neu erstandenen CD weichen und die sollte sich fortan äußerst hartnäckig im Player halten, trifft sie doch sowohl das spätspätherbstliche Klima sowie meine aktuelle Gemütslage punktgenau.

David Roytblat (UKR) Andern morgens ignoriere ich wie geplant im Vertrauen auf die Versorgung am Turnierort das Frühstück der Unterkunft, werfe stattdessen noch einen kurzen Blick auf die erst nach dem Einschlafen eingetroffene Auslosung, mit Schwarz gegen Alt-Hessenligaspieler Holzschuh, und stelle vor Ort leicht konsterniert das Fehlen des Catering fest, nichts zu beißen, kein frischer Kaffee. Kurzerhand bediene ich mich am lauwarmen Kannenrest des Vorabends. Später erfahren wir vom simplen Verschlafen des Personals als Grund für die Leere am Tresen.

Vollstreckung mit ...d3, aber ... Der Abtauschfranzose bereitet nur wenig Mühe, mehr und mehr verbessere ich meine Stellung, spiele eine richtig saubere Partie, kann das Remisangebot mit gutem Gefühl ablehnen, könnte auch später bei Bedarf immer wieder eine Zugwiederholung forcieren als, ... ich ihm im völlig gewonnenen Damenendspiel aus einem kurzen Kontrollverlust heraus die einzige Möglichkeit auf Gegenspiel in Form einer Mattdrohung überlasse und es urplötzlich aus ist.
Wie schon in der Auftaktpartie der Mannschaftskampfsaison gegen AEM führte erneut ein Mini-Blackout zum bitteren Wegschenken des verdienten Lohns. Daran hatte ich in der Mittagspause durchaus zu knabbern, schon wieder so ein Malheur, wenn es diesmal auch nur mich alleine und nicht noch dazu die ganze Mannschaft traf. Es hätte alles gepasst, der Turnierauftakt, das Ergebnis zur Leistung, die Farbverteilung, selbst wenn ich mich lediglich auf das ja jederzeit mögliche Remis eingelassen hätte. Den Frust bekamen ein paar Geschäfte im Ortszentrum zu spüren, denen ich mehr als nötig abkaufte. Zumindest war ich hernach gegen Versorgungsausfälle erst mal gewappnet.

Sporthalle Martinsee Mit etwas Mühe zwang ich mich zurück nach Martinsee, Lust und Motivation waren arg lädiert. Dort angekommen krönte die Auslosung gar noch den schwarzen Freitag, denn wieder gab es mit Weiß eine 1000, diesmal tatsächlich ein Knirps aus der Heusenstammer Nachwuchskohorte. Bei jedem Kaufvertrag fließt zumindest ein symbolischer Euro. Warum gibt es nicht auch wenigstens ein symbolisches DWZ-Pünktchen für jede regulär ausgetragene Schachpartie? Ich wäre im Gegenzug auch gerne bereit, für jede Partie gegen einen GM ein solches Pünktchen abzutreten. Immerhin stecken doch immer einiger Zeitaufwand und eine gewisse Leistung darinnen, mitunter sogar deutlich eher als bei mehr oder weniger kampflosen Kurzremisen oder einem frühzeitigen Einsteller, die aber allesamt volle Wertung erfahren.
Gegen den kleinen David mit ukrainischen Wurzeln jedenfalls gelingt mir über die ersten zwanzig Züge nicht der geringste Nachweis und das Beenden der Partie erst nach zweieinhalb Stunden.

Der letzte schöne Herbsttag Das Abendprogramm führt mich erneut in den Hafen. Den heiteren Auftakt macht die sehr gelungene deutsche Komödie Der letzte schöne Herbsttag, die fast als Kammerspiel vor allem mit ihren herrlich trocken dargestellten Monologen zu begeistern weiß. Das zahlreiche Publikum amüsiert sich prächtig.
Als sich anschließend noch die schwedischen Rocker von Hunt im musikalischen Teil des Abends die Ehre geben, da ist der Missmut über den Turnierverlauf des Tages endgültig verflogen. Sie spielen unter anderem einen namenlosen Song, für den sie bislang einfach noch keinen passenden Titel gefunden haben. Ich schlage ihnen aufgrund der hämmernden Gitarrenläufe meine Assoziation ‚Running on shells' vor - das würde auch den Tag adäquat beschreiben.

Kids Der Samstagmorgen gerät trotzdem komplett neben die Spur. Völlig sang- und klanglos unterliege ich bereits aus der Eröffnung heraus. Das passiert selten, Nacharbeit wird erforderlich. Vier von sieben Runden sind somit absolviert und mein Turnierbuch liest sich wie eine Ansammlung des Schreckens: Zwei Schwarz-Partien mit Null statt Eins aus Zwei gegen nominell etwas Stärkere sowie zwei ungewertete Weiß-Partien, rein für die Optik.
Ich ziehe mich ins Hotel zurück, hole etwas Schlaf nach und komme prompt fünfzehn Minuten zu spät an das Brett der fünften Runde, wo mir mit Weiß ein netter Sieg im klassischen Königsangriff gelingt. Die Partie wird sogar gewertet, ein bisschen zumindest, das tut der gezerrten Seele gut.
Lichte Schwarze Auch zeitlich passt es, denn ich komme noch problemlos an ein Ticket zum getanzten frivol-burlesk-parodistischen Musical Madame Loulou im Offenbacher Büsing-Palais, in dem sich Orient und Okzident im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert begegnen. Es bleibt sogar noch genügend Ruhe zum Aufsuchen weiterer altbekannter Lokalitäten. Der kurdische Betreiber des Ecklokals, mit dem ich über die Jahre manchen Plausch geteilt hatte, erzählt mir, in einem Jahr in seine Heimatstadt Gaziantep zurückkehren zu wollen, seine Familie sei schon dort. Veränderungen allerorten. Und es bewegt mich das Schicksal der Tugçe, welches sie jüngst nur ein paar Straßen weiter ereilt hat.

Li Chao in Aktion Die Tanz- und Gesangsdarbietungen im Festsaal dehnen sich auch aufgrund der Umbaupause, von Paris nach Arabien. Hier und da wird die falsche Musik eingespielt, aber die menschelnde Vorstellung kommt an.
Zurück im Hotel wird es gegen Mitternacht dann ungemütlich, muss ich doch die voreilig gekauften Flüge für den Weihnachtsurlaub mangels verfügbarer Unterkünfte in warmen Gefilden teuer umbuchen. Die Nacht bleibt unruhig, ich träume schlecht, schlafe schlecht, habe Mühe auszuchecken und treffe, heute mal im SG1871-Outfit, mit fast zwanzig Minuten Verspätung am Brett ein.
Outperfmorerin Charlotte Da mein Gegner, der aus dem Kosovo stammende Heusenstammer Safet Hoti, aber auch erst eine Minute vor mir ankam, trägt er den Zeitnachteil fast alleine. Manchmal genießt Schwarz (ungerechte) Vorteile. In der Partie brennt beiderseits nichts an, ausgangs der Eröffnung einigen wir uns auf Remis. Nach zwei (schwarzen) Pleiten in Folge soll man schließlich mal ein Remis einschieben, und außerdem keinen Kopfschmerzen Vorschub leisten.

Out-Door im SGL-Outfit Was für ein herrlicher spätspätherbstlicher Sonnentag dieser Sonntag doch ist! Ich nutze die gewonnene Zeit für ausgedehnte Spazierfotogänge durch die umliegenden See-, Wald-, Park-, Wiesen- und Schlossanlagen, und schließe in einem kleinen Café, draußen in der Sonne natürlich. Vom Tisch gegenüber spricht mich die Dame auf meine Kamera an und wir kommen ins Gespräch. Sie stammt aus Stendal, im Juni wird sie im Rahmen eines Schulausflugs mit ihrer Klasse erstmals Köln besuchen. Zörbig kennt sie schon.

Sachpreise So vorbereitet und sonnengeflutet begebe ich mich leichtgelassenen Herzens an das Brett zur letzten Runde, gegen einen nominell Ebenbürtigen, und tatsächlich mit Weiß (womit ich unter Abzug der beiden nichtgewerteten Partien immer noch auf 2 Weiß- zu 3 Schwarzpartien komme, also wie immer eigentlich).
Ich darf gegen einen Dd6-Skandinavier probieren und versuche mich an das weiße Spiel mit umgekehrten Vorzeichen vor einigen Jahren zu erinnern, als mir die Partie ziemlich chancenlos entglitten war. Aber das gelingt mir nur fragmentiert und entsprechend entwickelt sich mein Aufbau, irgendwie gewürfelt. Doch dann erwische ich den toten Winkel meines Gegners auf b7, den er nach eigenem Bekunden schon einmal komplett übersehen hatte. Dieser Einschlag beschert mir zwar materiell Qualität plus Bauer, doch gegen das Läuferpaar und freiem schwarzen Spiel gerate ich gehörig unter Druck und muss etliche Male genau verteidigen um mich letztlich noch mit einer simplen Mehrqualität ins Endspiel zu retten, wo es aber auch mit Doppelturm gegen Turm und Läufer zuweilen alles andere als leicht geht. Nach einer schier endlosen Reihe von Manövern an der Grenze der Remisbreite entscheidet dann letztlich vielleicht einfach nur die Kondition und in diesem Fall bleibt mir das glücklichere Ende. Schlussrundensieg! Auch Ewigkeiten enden irgendwann.

Li Chao spricht Hessisch Mandarin Ein zusätzlicher Vorteil dieses langen Letztrundenmatches ist die relativ überschaubare Wartezeit auf die Beendigung der übrigen noch laufenden Partien sowie auf die anschließende Siegerehrung, zu der mich Vereinschef Rudolf Benninger bittet, ein paar Fotos zu machen. Na klar, gerne. Zudem, für mich eine Riesenüberraschung, winkt mir doch tatsächlich aufgrund bester Zweitwertung, dank der eher ungebräuchlichen Fortschrittswertung, der 1. Preis meiner Ratinggruppe und damit fast eine Halbierung der entstandenen Teilnahmekosten! Manchmal hat so ein geschrumpftes Rating also doch seinen Vorteil. Fürwahr ein sonniger Tag. Zudem wandelt Sebi im fernen Magdeburg just auf alten Ramada-Spuren ebendort.

Heusenstammer Schloss Schönborn Der chinesische Großmeister Li Chao wird seiner Favoritenrolle gerecht und gewinnt das Turnier. Der SC Heusenstamm hält sich mit der Teamwertung und diversen Einzelpreisen schadlos, alleine Igor Zuyev darf 3x zugreifen (Allgemein, Heusenstammer, Team). Über zahlreiche Sonderpreise sind viele Teilnehmer bedacht, müssen sich aber für einen der Preise entscheiden, wie etwa Outperformerin Charlotte Sanati aus Trier (U14, < 1800).
Turniersieger Chao soll etwas auf Chinesisch sagen, das sei so ähnlich wie der hessische Dialekt und würde also verstanden. Er will wiederkommen. Hans-Dieter Post hat das Turnier in bewährter Routine über die Bühne gebracht. Die ersten 8 Bretter gab es live im Internet. Die Spielbedingungen waren absolut einwandfrei. Wenn es bei einer Neuauflage nun auch noch gelänge, tatsächlich im Heusenstammer Schloss Schönborn zu spielen, dann würde der gewählte Name endgültig zum Programm.

Zu den elegisch-sphärischen Klängen von Poppy gleite ich über den nächtlichen Highway rheinabwärts.

Mikly

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